Hochzeitsvorbereitungen sind der Wahnsinn…
Es dauert nicht mehr lange bis zu meiner Hochzeit. Mit meinen 43 Jahren habe ich auf eine kirchliche Hochzeit bestanden – wie fast alle träume ich davon, wie ich in weiß heirate – dabei bin ich selbstverständlich die wunderschönste Braut. Für eine moderne Frau, als die ich mich bezeichne, ist das vielleicht altmodisch, aber was soll’s. Welches Mädchen träumt nicht von einem Prinzen, der auf einem weißen Schimmel auf einen zureitet, einen aus einer misslichen Lage befreit und einen dann einfach mitnimmt? Oder von einem Ritter in einer schillernden Rüstung, der sein Leben für einen gibt? Will ich zu viel? Ich sehe mich als unwiderstehliche Braut in den Armen des Mannes, der für mich alles gibt und mich immer und überall beschützt. Ist das zu viel verlangt? Ja, diese Träume sind vielleicht weit hergeholt, aber ich kann schließlich träumen was ich will. Ich bestehe auf eine kirchliche Trauung – und damit basta!
Langsam bereue ich diesen Wunsch. An was man da alles denken muss, ist der Wahnsinn! Meinem Roland würde eine standesamtliche Trauung genügen; hätte ich in diesem Punkt doch nur nachgegeben und nicht meinen Dickschädel durchgesetzt!
Das Grobe ist zum Glück erledigt, es fehlen nur noch Kleinigkeiten, die meinen zukünftigen Gatten überhaupt nicht interessieren. Will er denn nicht auch, dass alles stimmig und perfekt ist? Ich schon, deshalb gebe ich überall mein Bestes.
Silke hatte die geniale Idee, Kerzen mit unseren Namen auf die Tische zu stellen, selbstverständlich in meiner Lieblingsfarbe Pink. Da Namen auf Kerzen ein Vermögen kosten, verzichte ich darauf und kaufe einfarbige Kerzen mit Glitter, die auch nicht schlecht aussehen, obwohl mir die anderen schon besser gefallen hätten. Roland ist froh darüber, denn er meint, dass das mit den Namen auf den Kerzen eine blöde Idee sei. Er möchte nicht zusehen, wie sich unsere Namen vor aller Augen auflösen. Was weiß der denn schon!
Passend zu den Kerzen nehme ich kleine Korkuntersetzer, die in meinen Augen exakt passen und die man später als Glasuntersetzer wiederverwenden kann (ich bin nicht nur sparsam, sondern auch ein sehr praktisch denkender Mensch).
Nur auf die Tischkarten konnte ich mich bisher noch nicht festlegen. Mit meinem Roland brauche ich darüber nicht sprechen, er hält sie für völlig überflüssig. Der Mann vertritt doch tatsächlich die Ansicht, dass sich jeder hinsetzen soll, wo er will. Spinnt der? Man muss sich doch Gedanken darüber machen, wen man mit wem an einen Tisch setzen kann, schließlich will man jeglichem Ärger aus dem Weg gehen (dass das trotz der Karten gründlich in die Hosen geht, ahne ich zum Glück nicht). Der Tischplan steht schon lange, aber welche Tischkarten passen zu uns und der Dekoration? Ich zermartere mir das Hirn, Roland kümmert sich nicht darum.
Ich surfe im Netz und finde einfach nichts, was mir gefällt. Gewöhnliche Schilder aus Pappe kommen nicht in Frage, die sind mir zu langweilig. Wie sieht es mit Sektkorken aus? Dafür bräuchte ich viel zu viele, die schaffe ich nicht mehr. Ja, ich könnte welche kaufen, aber das ist mir zu einfach. Wäscheklammern? Zu simpel. Pralinen, in denen die Namensschilder stecken? Zu unappetitlich. Dann sehe ich etwas, das mir gefallen könnte: Schlüssel. Schöne Deko-Schlüssel, an denen man die Kärtchen mit den Namen anbringen kann. Wie genial ist das denn? Ich finde mehrere Angebote, die durchaus ansprechend sind. Dann fällt mein Blick auf eine Firma aus Fernost, die wunderschöne Schlüssel in Used-Optik mit passenden Schildern und einem Organza-Säckchen anbietet – alles in einem, was will man mehr? Als ich in der schlecht übersetzten Beschreibung lese, dass die Schlüssel Flaschenöffner sind, finde ich das genial. Ich hole mir einen Kaffee und überdenke den Kauf, schließlich ist der Preis nicht ohne. Als ich zurückkomme und die Seite aktualisiere, hüpft mein Herz vor Freude: Der Preis wurde nach unten korrigiert. Wenn ich zwei Sets, bestehend aus jeweils 100 Schlüsseln, nehme, spare ich drei Euro! Natürlich schlage ich sofort zu – wer würde da zögern? Natürlich weiß ich, dass 200 Schlüssel viel zu viel sind, denn wir sind insgesamt nur sechzig Personen. Trotzdem schlage ich zu, denn die Schlüssel und somit die Flaschenöffner kann man sicher immer wieder mal brauchen. Wofür? Darüber mache ich mir jetzt keine Gedanken.
Drei Tage später sind die Schlüssel da. Sie sind zwar nicht so groß wie ich sie mir vorgestellt habe, werden ihren Zweck aber erfüllen. Silke kommt vorbei und ist begeistert.
Auf die Schilder schreiben wir die dazugehörigen Namen, in die Organza-Säckchen stopfen wir Bonbons, mehr als zwei Stück haben nicht Platz – auch die habe ich viel größer erwartet.
„Man erkennt nicht, dass das ein Flaschenöffner ist“, stellt Silke schließlich fest. „Sollten wir nicht irgendwie darauf hinweisen?“
„Wie denn?“
„Eine Info auf der Rückseite der Schilder?“
„Nein, die Rückseite ist mit einem netten Spruch bedruckt, den will ich nicht verschandeln..“
„Vielleicht ein Zettel, den wir in das Säckchen stecken können?“
„Du meinst, so eine Art Gebrauchsanweisung? Die Bonbons und ein Zettel?“
„Warum nicht? In Glückskeksen steckt doch auch ein Zettel.“
Wir sehen uns an und lachen. Nein, das kommt nicht in Frage, wie blöd sähe denn das aus? Wir sind uns einig, dass man mit etwas Phantasie selbst darauf kommen kann.
Nach vier Stunden und einer Flasche Sekt sind wir endlich fertig.
Wir sind zufrieden über das Ergebnis und betrachten unser Werk. Wir sind uns einig, dass niemand eine so tolle Idee hat und diese Tischkarten einfach nur genial und einzigartig sind. Roland wird große Augen machen!
„Was ist mit deinem Vater? Kommt er zu deiner Hochzeit?“
Silke hat einen sehr wunden Punkt angesprochen, wovon nur Roland weiß (wie immer überlässt er mir auch in diesem Punkt die Entscheidung). Final entschieden habe ich mich noch nicht. Vielleicht kann mir Silke dabei helfen.
„Wir haben uns am Telefon gestritten.“
„Worüber?“
„Das weiß ich nicht mehr. Ein Wort gab das andere und dann habe ich einfach aufgelegt.“
„Das heißt, dass du noch nicht weißt, ob er kommen will?“
„Das heißt, dass ich nicht weiß, ob ich ihn überhaupt dabeihaben will. Er ist mir fremd, wir haben überhaupt nichts gemeinsam.“
„Bis auf die Gene.“
„Die hoffentlich bei mir nicht durchschlagen.“ Gedanklich gehe ich das Telefonat nochmals durch. Vielleicht sind wir uns ähnlicher, als ich zugeben will, aber im Gegensatz zu ihm scheue ich mich nicht vor der Verantwortung und habe ein Herz. Abgesehen davon, dass ich ihn nicht bei meiner Hochzeit brauche, da ich sowieso allein auf den Altar zugehe, erkenne ich, dass ich ihn auch nicht in meinem Leben brauche.
Genau in diesem Moment ist meine Entscheidung gefallen:
„Ich möchte ihn nicht dabei haben!“, sage ich bestimmt und stürze das Glas Sekt der neu geöffneten Flasche runter. Silke nickt, stellt keine weitere Frage und schenkt nach.
Habe ich schon erwähnt, dass es keine bessere Freundin gibt?
Standesamt. Hochzeit, die erste…
Das Wetter ist genial, vielleicht sogar etwas zu heiß. Es regnet nicht, alles andere ist mir egal. Ich sehe das giftgrüne Kleid meiner Mutter schon von Weitem. Wie sieht die denn aus? Als wollte sie auf den Opernball gehen! Das Kleid ist bodenlang, auf dem Kopf hat sie einen Fascinator, der üppig dekoriert ist.
„Oh Gott!“ Mehr kann ich dazu nicht sagen. Silke parkt im Schatten, noch hat uns niemand entdeckt. Sie dreht alle Scheiben runter und greift nach hinten. Was hat sie vor?
„Ganz ruhig, Tanja. Deine Mutter ist es, die sich blamiert. Soweit ich sehen kann, ist sie die Einzige, die overdressed ist. Keine Sorge, auf sie wird niemand achten, du wirst der Star des Tages sein. Wir beide trinken jetzt erst mal ein Gläschen Sekt für die Nerven.“ Sie schenkt beide Gläser randvoll. „Auf deine Hochzeit, Tanja!“ Kurz darauf trinken wir noch ein Glas, darauf noch eines. Der Sekt ist eine bessere Marke. Bei der heutigen Hitze müssten wir den Rest wegkippen, dann trinken wir ihn lieber. Meine Nerven sind beruhigt, die Laune ist bestens. Silke hat an alles gedacht – sie ist und bleibt die Beste!
Silke hat uns zum Standesamt gefahren, Roland kommt mit seinen Eltern. Logistisch war das die beste und einfachste Lösung, da Roland seine Eltern vom Bahnhof abgeholt hat und Silke am anderen Ende der Stadt wohnt. War ja klar, dass das meiner Mutter nicht passt, zumal sie sich mit ihrem Opernball-Kleid in den Kleinwagen meiner Schwester quetschen musste. Nachdem sie mich von oben bis unten abgecheckt hat, meckert sie sofort los. Kein Wort über mein Kleid und mein Aussehen. Auch nicht darüber, dass ich mit diesen halsbrecherischen Absätzen den Weg vom Auto bis hierher schadlos überstanden habe – und das leicht angeschickert. Habe ich etwas anderes erwartet?
„Wo bleibst du denn so lange?“, herrscht mich meine Mutter an. Jeder kann an ihrem Gesicht ablesen, dass sie stinksauer ist. „Wir warten seit einer geschlagenen halben Stunde auf dich! Roland, seine Eltern und auch der Trauzeuge sind längst hier! Dagmar und mich lässt du in der Sonne schmoren. Kannst du dir vorstellen, wie ich in diesem Kleid schwitze? Von meinem Fascinator möchte ich nicht reden, der klebt inzwischen an meinem Kopf!“ Gezeter und Genörgle, mehr hat sie nicht zu sagen.
„Halten Sie einfach den Mund. Wenn es Ihnen nicht passt, können Sie ja gehen“, höre ich Silke sagen. Ob der Alkohol aus ihr spricht?
„Was erlaubst du dir, du freche Göre! Wie redest du mit mir?“
„Heute ist Tanjas Tag, finden Sie sich damit ab.“ Silke ist heute echt gut drauf. Es ist offensichtlich, dass sie sich vorgenommen hat, mir meinen Tag so angenehm wie möglich zu machen. „Versuchen Sie heute, sich zurückzunehmen und sich einfach nur mit Ihrer Tochter zu freuen. Ich hoffe, dass Sie das hinbekommen.“
Das hat gesessen, meine Mutter bekommt keinen Ton mehr raus. Jetzt hat uns Roland entdeckt und ich habe nur Augen für ihn.
„Wahnsinn! Du siehst wunderschön aus, mein Engel!“ Er betrachtet mich von allen Seiten und ist sichtlich stolz auf mich. „Wow, da bleibt mir echt die Spucke weg!“
„Du bist aber auch eine Augenweide!“ Roland sieht wirklich toll aus in dem dunklen Anzug, der sicher nicht billig war.
„Warte kurz“, strahlt er und rennt davon. Er kommt mit einem Blumenstrauß zurück, den er im Schatten in einem Wasserglas gelagert hat. Pinkfarbene Rosen mit einer weißen Lilie, alles schlicht und elegant.
„Lilien sind Grabblumen“, höre ich meine Mutter sagen, aber wir reagieren nicht darauf. Ich freue mich und fühle mich einfach nur gut. Zum Glück kann ich mich bei Roland unterhaken, in seinen Armen fühle ich mich leicht und beschwingt, auch mit diesen mörderischen Absätzen.
Es ist Zeit, jetzt wird geheiratet…
Der Standesbeamte erwartet uns und begrüßt Roland und mich, danach nehmen wir alle Platz. Wie selbstverständlich setzt sich meine Mutter neben mich.
„Da sitzt Silke“, flüstere ich ihr zu. „Du sitzt hinter uns, neben Rolands Eltern.“
„Da bekomme ich nur die Hälfte mit.“ Mutter sieht einfach zur Seite und ignoriert Silke, die einfach nur sprachlos dasteht.
„Das ist ein Missverständnis, gnädige Frau“, rettet der Standesbeamte die Situation. „Die Eltern sitzen hinter dem Brautpaar.“ Er lächelt milde, auch wenn man ihm ansieht, dass er es nicht oft mit solch sturen Menschen zu tun hat. „Setzen Sie sich doch neben Ihre Tochter“, zeigt er auf Dagmar. Er hat schnell kombiniert – Kunststück, denn die beiden sehen sich sehr ähnlich.
Beleidigt steht Mutter auf und setzt sich, dann kann es endlich losgehen.
Der Standesbeamte macht seine Sache sehr gut. Silke nervt mit ihrem Job als Fotografin, denn beinahe ununterbrochen wird geknipst. Sie will jeden Moment festhalten, auch wenn sie darin etwas übertreibt.
„Frau Freund – Herr Vogel – ich ernenne Sie hiermit zu Mann und Frau. Sie sind jetzt rechtmäßig verbundene Eheleute. Wenn Sie hier bitte unterschreiben.“
Die Unterschriften gehen schnell, schließlich ändert sich damit nichts für uns – trotzdem muss ich zugeben, dass meine Hände etwas zittern.
„Was soll denn das? Wieso unterschreibst du mit deinem Namen? Das darf doch jetzt nicht wahr sein!“ Meine Mutter steht hinter mir, sie schnaubt vor Wut. „Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede!“ Dass es totenstill geworden ist, bemerkt sie nicht. „Soll das heißen, dass du nicht den Namen deines Mannes annimmst?“
„Beruhige dich, Mutter. Wir behalten unsere Namen, darin sind wir uns schon lange einig und dagegen ist nichts einzuwenden. Das macht doch heute fast jeder.“ Ob sie sich beruhigen lässt? Das bezweifle ich.
„Wir sind doch nicht jeder! Du wirst doch nicht etwa diesen neumodischen Schmarrn mitmachen? Wie soll ich denn das erklären? Niemand wird merken, dass eines meiner Mädchen verheiratet ist, niemand wird mir glauben.“
„Lass mich raten, Mutter: Du hast allen erzählt, dass ich künftig Vogel heißen werde.“
„Selbstverständlich habe ich das. Ich bin stolz darauf, dass wenigstens du unter der Haube bist.“ Der Seitenhieb auf Dagmar hat gesessen. „Ich kann mich bei niemandem mehr blicken lassen! Nein, das geht nicht, du musst den Namen deines Mannes annehmen!“
„Schon passiert, werte Schwiegermutter“, lacht Roland. „Wenn du erlaubst, werde ich meine Frau jetzt küssen, denn der Kuss steht noch aus.“ Er nimmt mich einfach in die Arme und küsst mich, direkt vor dem Gesicht meiner Mutter. Mir ist das peinlich, aber Roland ist sie völlig egal.
„Dann macht wenigstens einen Doppelnamen daraus, den kleinen Gefallen könnt ihr mir doch tun.“ Ohne eine Antwort abzuwarten wendet sie sich an den Standesbeamten. „Das kann man doch noch ändern, oder? Noch sind wir ja nicht weg.“
„Alles bleibt so, wie es ist, Mutter! Gib endlich Ruhe!“
Es folgen zahlreiche Glückwünsche, wobei meine Mutter beleidigt an der Seite steht. Die Stadt hat eine Flasche Sekt spendiert, die Mitarbeiterin des Standesbeamten erscheint mit einem Tablett und gefüllten Gläsern. Noch bevor Roland und ich eines davon nehmen können, ist Silke schon zur Stelle. Sie hat geweint, als wir uns das Ja-Wort gaben und ist immer noch sehr gerührt.
„Eins ist sicher – Silke fährt heute keinen Meter mehr“, flüstere ich Roland zu, der daraufhin nickt. Er nippt nur an seinem Glas, er ist noch nie ein großer Trinker gewesen.
Meine Mutter hält ihr volles Glas in der Hand. Sie prostet zwar jedem zu, trinkt aber nichts. Sie hat ihre Gründe, die sie sonst immer ausposaunt, aber heute bleibt sie still.
„Jetzt komm schon und schmoll nicht. Es ist nur ein Name, mehr nicht. Warum kannst du nicht akzeptieren, dass wir unsere eigenen Entscheidungen getroffen haben?“
„Ich bin sehr enttäuscht, Tanja. Das hättest du mir nicht antun dürfen, das geht eindeutig zu weit. Und dann dieser Brautstrauß! Weiße Lilien bringen nur Unglück! Ich habe Roland eindringlich gewarnt, aber er wollte nicht hören. Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt.“
„Finde dich endlich damit ab, dass das meine Hochzeit ist und dass nur mein Mann und ich bestimmen, wie die abläuft. Du bist nur die Brautmutter, mehr nicht.“
Mein Mann – wie komisch sich das anhört!
Wir fahren zu Luigi. Roland hat darauf bestanden, dass er den Wagen fährt und nur ich mitfahren darf. Mutter hat er schroff zurückgewiesen, da sie – wie selbstverständlich – einsteigen wollte. Rolands Trauzeuge fährt Silkes Wagen, darin sitzen auch die Eltern des Bräutigams.
„Das wird ein Desaster. Wenn Mutter merkt, dass wir bei Luigi essen – ich will nicht daran denken. Vielleicht ist sie milde gestimmt, wenn sie versteht, dass jeder das bestellen darf, was er will.“
„Du sollst diesen Tag genießen, Weib! Verdräng deine Mutter wenigstens heute aus deinem Kopf.“
„Wie soll das gehen? Sie ist überall und hält einfach nicht den Mund.“
„Überlass sie mir, okay? Heute wird gefeiert, schließlich sind wir jetzt verheiratet. Du solltest deinen Fokus auf mich legen, und nicht auf deine Mutter.“
„Aber nur, wenn du aufhörst, mich Weib zu nennen.“
„Das kannst du vergessen. Du bist jetzt mein Weib, gewöhn dich schnell daran.“
Ich drücke Rolands Hand und bin einfach nur glücklich. Die Bezeichnung Weib lasse ich jetzt einfach mal so stehen, darum kümmere ich mich später.
Die Glückwünsche von Luigi und seiner Frau kommen von Herzen. Es gibt einen riesigen Blumenstrauß und eine besondere Flasche Wein.
Mutter begutachtet den Strauß – auch hier sind Lilien drin.
„Zumindest keine weißen Lilien. Siehst du, sogar Italiener wissen, dass das Beerdigungsblumen sind.“
„Sei einfach still, Mutter“, zische ich und sehe mich nach Roland um. Wollte er sich nicht um sie kümmern?
„Du hättest mir sagen können, dass wir hier essen, dann hätte ich darauf verzichtet.“
„Schade, liebste Schwiegermutter, das hätten wir früher wissen müssen.“ Roland kommt genau im richtigen Moment. Mutter wurde mundtot gemacht. Ihr meint, dass sie beleidigt gehen würde? Da kennt ihr sie aber schlecht, schließlich ist sie immer noch der Meinung, dass sie heute die Hauptperson ist.
„Ich habe für euch draußen gedeckt. Bei dem schönen Wetter!“ Die kleine Terrasse ist liebevoll dekoriert und die Tische sehr schön eingedeckt. Wir freuen uns über diese Aufmerksamkeit. Dann entdeckt Luigi meine Mutter und verzieht das Gesicht. Das Probeessen ist ihm noch in lebhafter Erinnerung. „Setz deine Mutter nicht direkt unter den Baum, sonst nistet noch ein Vogel in ihrem Kopfschmuck.“
Außer uns beiden hat das leider auch Silke gehört, die sich offenbar fest vorgenommen hat, jede einzelne Sekunde dieses Tages zu genießen. Sie lacht laut los, geht zum Trauzeugen und zu Rolands Eltern, um dort den Witz zu wiederholen. Gelächter geht um – zum Glück hat Mutter nichts davon mitbekommen, denn sie steuert zielsicher auf den besten Platz am Tisch. Schattig, keine Zugluft und im Zentrum, so, wie sie es mag. Dagmar fällt nicht auf. Sie spricht nicht und kümmert sich nur um ihr Smartphone – wie peinlich! Meine Mutter hat mehrfach versucht, sie davon abzuhalten, aber Dagmar bleibt stur.
Die Stimmung ist auch ohne das Zutun meiner Schwester prima, auch wenn meine Mutter nicht versteht, warum das so ist. Sie erzählt aus ihrem vermeintlich harten Leben und vor allem von der Zeit, als sie mit ihren beiden Mädchen allein dastand. Ja, das war eine Leistung, daran ist nicht zu rütteln, auch wenn sie jede Menge Hilfe ihrer Eltern hatte. Noch bevor sie wieder so tut, als sei sie karrieretechnisch super aufgestellt, greift Roland ein. Vermutlich hat er mir angesehen, dass ich mir das heute nicht anhören möchte. Deshalb steht er auf und hält eine Rede, worüber alle sichtlich erleichtert sind.
Dagmar hat auch jetzt wieder nicht zugehört. Es scheint, als ginge sie das hier alles nichts an. Sie hängt nur an ihrem Smartphone und schreibt eine Nachricht nach der anderen. Kann sie sich nicht ein einziges Mal wie eine Schwester benehmen?
Die kurze Rede meines Mannes ist vorbei, wir können bestellen. Zur Feier des Tages gibt es eine Runde Prosecco, den meine Mutter strikt ablehnt. Jetzt nimmt sie die Gelegenheit beim Schopf und sagt, warum das so ist. Sie ist der Meinung, dass Alkohol Falten und schlechte Haut verursacht, deshalb trinkt sie nicht. Eigentlich schade, dann wäre sie vielleicht etwas lockerer.
Das Essen ist wie immer super, diesmal hat auch meine Mutter nichts zu meckern. Wie sollte sie auch? Schließlich hat sie nur einen Salat.
Nach dem Nachtisch, auf den meine Mutter demonstrativ verzichtet – Zucker und Fett ist schlecht für die Figur – langweilt sie sich sichtlich. Keine ihrer alten Geschichten findet Anklang, was sie resignieren lässt. Sie kann auch nicht gegen mich sticheln, denn Roland und Silke haben sich so geschickt hingesetzt, dass sie fast hermetisch abgeschirmt wird. Es gibt viel Lob über mein Kleid und die hohen Schuhe, was meine Mutter demonstrativ überhört. Dagmar hört sowieso nichts, sie schreibt immer noch Nachrichten.
Ich bekomme am Rande mit, dass ein Taxi gerufen wird. Dagmar und meine Mutter verabschieden sich sichtlich kühl, der heutige Tag hat ihnen nicht gefallen. Für einen kurzen Moment meldet sich mein schlechtes Gewissen, aber das ist schnell verflogen, denn ich sehe, dass sich die anderen sehr wohl amüsieren. Ich merke, wie ich aufatme, als sie verschwunden sind. Es wird sofort sehr viel gemütlicher.
Silke lacht und scherzt, sie wird von allen umschwärmt, jeder will mit ihr reden. Sogar Rolands Trauzeuge Hans-Georg (ja, er legt großen Wert auf den Doppelnamen), der nicht viel redet und den ich auch sehr selten habe lachen sehen, wird in ihren Bann gezogen. Irre ich mich oder flirten die beiden?
Silke kichert laut, außerdem redet sie jede Menge Blödsinn. Als sie anfängt, Anekdoten aus unserer gemeinsamen Vergangenheit auszuplaudern, muss ich einschreiten. Roland weiß nicht alles von mir, meine Schwiegereltern sollen das nicht hören. Ich signalisiere Silke, dass ich pinkeln muss. Sie muss mich begleiten, da ich auf diesen Schuhen nicht allein gehen kann.
„Du solltest dich mit dem Alkohol zurückhalten, Silke.“
„Warum?“
„Du trinkst zu viel!“
„Das weiß ich, aber heute und morgen lasse ich es krachen! Die Freude kannst du mir nicht nehmen, Tanja! Meine beste Freundin ist unter der Haube, das muss doch gefeiert werden…“
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