Der 6. Fall aus der Leo-Schwartz-Krimireihe
1.
„Einbruch bei Mode-Mollenkopf am Stadtplatz in Mühldorf. Los, Männer.“ Die Ansage von Viktoria Untermaier klang nicht sehr begeistert, obwohl sie ihre Leute motivieren wollte und offensichtlich auch musste, da sie in ratlose Gesichter blickte.
„Einbruch? Warum sind wir da zuständig?“
„Weil uns die Spurensicherung angefordert hat, deshalb. Noch irgendwelche Fragen?“
Lustlos nahmen Leo Schwartz, Hans Hiebler und Werner Grössert ihre dicken Jacken vom Haken, schließlich wollte niemand bei dem Schneetreiben und der Eiseskälte freiwillig nach draußen. Schon seit Sylvester war es ungemütlich kalt, was zwar für Ende Januar durchaus normal war, aber trotzdem niemand mochte.
Missmutig und durchgefroren, erreichten sie nach wenigen Minuten den Tatort, den Friedrich Fuchs, der Leiter der Spurensicherung, weiträumig abgesperrt hatte. Die Kriminalbeamten mussten sich den Weg durch die riesige Menschenmenge bahnen. Immer wieder wunderten sich die Beamten darüber, warum die Menschen von einem Tatort magisch anzogen wurden, egal bei welchem Wetter und zu welcher Tageszeit. Es war jetzt kurz nach neun Uhr. Als sich Viktoria umblickte, sah sie sogar einige Kinder in der Menschenmenge, die teilweise auf den Schultern der Erwachsenen saßen, um besser sehen zu können. Für sie war das Verhalten der Erwachsenen absolut nicht nachvollziehbar.
Friedrich Fuchs kam aufgeregt auf Viktoria zu, wobei er die Aufmerksamkeit der Gaffer sichtlich zu genießen schien, denn er stolzierte wie ein Pfau direkt an den Zuschauern vorbei.
„Endlich! Wo bleiben Sie so lange? Bitte folgen Sie mir!“
Eigentlich wollte sich Viktoria zunächst bei Fuchs erkundigen, worum es hier genau ging, aber der hatte bereits sein Ziel anvisiert und stürmte darauf zu. Die Kriminalbeamten folgten dem 42-jährigen, kleinen, hageren Mann in die Geschäftsräume von Mode-Mollenkopf, vorbei an Regalen und Kleiderständern. Dann blieb Fuchs stehen und zeigte auf eine Stelle am Boden. Alle sahen sich ratlos an, denn sie verstanden nicht, was Fuchs von ihnen wollte. Hier war nichts, absolut nichts.
„Wollen Sie uns verarschen? Ich sehe nichts! Sie veranstalten mit Ihren Mitarbeitern einen solchen Aufwand und zeigen uns dann nichts? Gnade Ihnen Gott, wenn Sie nicht sofort eine plausible Erklärung parat haben.“ Viktoria Untermaier war sehr ungehalten. Sie konnte diesen Fuchs partout nicht ausstehen, er brachte sie regelmäßig auf die Palme. Die 47-jährige, 1,65 Meter große Frau stand mit rotem Gesicht vor Fuchs und war stinksauer. Sie hatte die Arme in die Hüften gestemmt, wodurch ihre leicht füllige, weibliche Figur deutlich durch den Mantel erkennbar war. Sie war attraktiv, war sich dessen aber nicht bewusst, was sie für die Männerwelt noch begehrenswerter machte. Sie war seit vier Jahren geschieden, sehr intelligent, nahm kein Blatt vor den Mund und konnte ziemlich temperamentvoll werden.
„Reden Sie endlich, Fuchs! Was soll diese Scharade? Meine Informationen sind dahingehend, dass es sich hier um einen Einbruch handelt. Was veranstalten Sie hier eigentlich?“
„Wenn Sie nicht so ungeduldig wären, wüssten Sie längst, worauf ich hinaus will. Sehen Sie selbst,“ sagte Fuchs ungerührt. „Licht aus!“, rief er einem Mitarbeiter zu, wodurch sie nun allesamt im Dunkeln standen. Nun sahen es die Kriminalbeamten: Schmierige, blaue Flecken auf dem Boden.
„Licht an!“, rief Fuchs, der nun triumphierend in die erstaunten Gesichter der Kollegen blickte.
„Blut?“ Die Frage war eigentlich überflüssig.
„Selbstverständlich, und zwar jede Menge davon. Es wurde versucht, die Spuren wegzuwischen, was aber nie hundertprozentig funktioniert. Bei diesem Boden hier handelt es sich um Industrielaminat, bei dem vor allem zwischen den Fugen immer noch jede Menge Blutspuren, auch nach gründlicher Reinigung, gut nachweisbar sind. Mit Hilfe von Luminol ist das ein Kinderspiel. In unserem vorliegenden Fall wurde das Blut nur notdürftig aufgewischt, da scheint es jemand eilig gehabt zu haben. Die Blutspur führt vom Tresor nach dort hinten, und dann hier her, wo sich der größte Teil befindet. Die Spur kann man bis zur Hintertür verfolgen, allerdings ist dort unsere Arbeit noch nicht abgeschlossen. Ich dachte, es ist besser, Sie sofort zu rufen. Vor allem, nachdem der Besitzer Herr Mollenkopf uns darüber informiert hat, was aus dem Safe gestohlen wurde.“
Viktoria blickte ihn fragend an.
„Das ist nun wirklich nicht meine Arbeit! Sie sehen ja selbst, was wir hier alles noch zu tun haben. Ich darf Sie also bitten, Ihre Arbeit zu machen. Meinen Bericht bekommen Sie so schnell wie möglich,“ verwies er die Kriminalbeamten mit einer Handbewegung an eine Gruppe von fünf Personen, die nur wenige Meter entfernt zusammenstanden und sie beobachteten.
„Viktoria Untermaier, Kriminalpolizei Mühldorf. Das sind die Kollegen Schwartz, Hiebler und Grössert. Sie sind der Inhaber?“
„Herbert Mollenkopf, mein Name, mir gehört das Modehaus. Ich habe heute Morgen sofort bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Die Hintertür war nur angelehnt. Ich habe umgehend nach dem Safe gesehen, der stand offen und war leer. Ich war total geschockt und habe die Polizei gerufen.“ Der sechzigjährige, untersetzte und sehr gepflegte Mann schwitzte stark und wischte sich fortwährend den Schweiß mit einem Stofftaschentusch von der Stirn. Alle bemerkten, dass das Taschentuch aus demselben Stoff war, wie die Krawatte. Herbert Mollenkopf hatte etwas Arrogantes, fast Unsympathisches an sich.
„Was wurde gestohlen?“
„Alles! Sehen Sie doch! Der Safe wurde aufgebrochen, alles ist weg. Das ist eine Katastrophe!“
Herbert Mollenkopf war vollkommen aufgelöst und atmete schwer.
„Wo können wir uns in Ruhe unterhalten?“ Mollenkopf ging voraus in ein Nebenzimmer, das sich als Aufenthaltsraum der Angestellten entpuppte. Der Raum war sehr klein und mit einem Tisch und drei Stühlen ausgestattet. An der Wand befand sich ein Waschbecken, neben dem in einem kleinen Schrank jede Menge Putzzeug untergebracht war. Auf dem Boden standen die Handtaschen der Angestellten, deren Jacken hingen über den Stühlen. Kein Fenster, keine Kaffeemaschine, kein Bild oder Dekoartikel. Hier machte es sicher keinen Spaß, Pause zu machen.
Herbert Mollenkopf bemerkte Viktorias Blick.
„Die Toilette ist im Treppenhaus. Nicht dass Sie glauben, das gäbe es bei uns nicht, das ist Vorschrift. Natürlich wäre es praktischer, wenn alles beieinander wäre, das ist leider nicht realisierbar. Das Gebäude ist sehr alt, schon seit über 100 Jahren im Familienbesitz und die Umbauarbeiten würden ein Vermögen verschlingen, ganz abgesehen von den Problemen mit dem Amt für Denkmalschutz.“
Viktoria interessierte sich nicht für diese Details, deshalb war sie nicht hier.
„Setzen wir uns. Was wurde nun genau gestohlen?“
„Die Einnahmen der letzten Tage, rund 142.000 Euro. Eine Sammlung Goldmünzen im Wert von 20.000 Euro und der wertvolle Schmuck meiner Frau, dessen Wert ich noch nicht kenne. Während wir auf Sie und Ihre Kollegen gewartet haben, habe ich mich bereits mit der Versicherung in Verbindung gesetzt. Die genaue Aufstellung wurde mir noch für heute versprochen.“
Das kam Viktoria sehr merkwürdig vor.
„Sie sind versichert?“
„Selbstverständlich! Fragen Sie mich nicht, wie hoch die Versicherungsprämie ist, die ich immer pünktlich bezahlt habe. Neben den Banken sind Versicherungen die größten Halsabschneider, die es gibt.“
„Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege. Bringt man Einnahmen nicht täglich auf die Bank? Und warum haben Sie Goldmünzen und Schmuck Ihrer Frau hier im Safe Ihres Geschäftes aufbewahrt?“
„Ich handhabe das so und muss mich Ihnen gegenüber deshalb nicht rechtfertigen. Sie können die Bücher bezüglich der Einnahmen gerne prüfen, wenn Sie mir nicht glauben. Wir sind schon seit Generationen eines der besten Geschäfte am Platz und genießen hohes Ansehen. Meine Kunden sind keine Schnäppchenjäger, sondern gut situierte Personen aus der oberen Gesellschaftsschicht mit einem erlesenen Geschmack und natürlich mit einem Anspruch auf Qualität und Service. Außerdem handelt es sich um mein Geschäft und meinen Safe, da kann ich reinlegen, was ich möchte.“
Ganz schön patzig, dieser Mollenkopf. Er war Kritik nicht gewohnt, das lag auf der Hand. Viktoria notierte die Angaben, wobei sie an diesen ihre Zweifel hatte.
„Wir haben reichlich Blutspuren gefunden. Was können Sie mir darüber sagen?“
„Blutspuren? War es das, was Sie sich vorhin so interessiert angesehen haben? Nein, bei uns gibt es keine Blutspuren und die hat es auch noch nie gegeben. Sie müssen sich irren, das ist nicht möglich.“
Das wiederum klang für Viktoria sehr glaubhaft. Vielleicht wusste der Mann wirklich nichts davon.
„Gab es in letzter Zeit irgendetwas Ungewöhnliches?“
„Was meinen Sie damit?“
„Sind Ihnen Kunden in oder vor dem Geschäft merkwürdig vorgekommen? Bekamen Sie ungewöhnliche Post oder irgendwelche dubiosen Anrufe?“
„Nein, nichts dergleichen. Obwohl ich zugeben muss, dass ich mich nicht oft in dem Geschäftsraum aufhalte und mich um Kunden kümmere. Es sei denn, es sind ganz außergewöhnlich gute Kunden, da mache ich natürlich eine Ausnahme. Meistens bin ich in meinem Büro, hier im ersten Stock.“
Viktoria hatte sich so etwas bereits gedacht, denn sie konnte sich diesen arroganten Mollenkopf nur sehr schwer als Verkäufer vorstellen.
„Was ist hier noch in dem Haus untergebracht? Wohnen Sie auch hier?“
„Aber nein, meine Frau und ich wohnen nicht hier. Wie bereits erwähnt ist das Haus schon sehr alt und wir haben uns deshalb vor knapp zwanzig Jahren ein Haus in Mühldorf gebaut, das wesentlich mehr Komfort und Bequemlichkeit bietet. Hier im Haus ist neben meinem Büro das meiner Sekretärin, das Lager, die Registratur und ein Raum mit Werbe- und Dekorationsmaterial untergebracht. Die anderen Räume stehen längst leer. Früher war Platz für drei Generationen. Hier lebten meine Eltern, Großeltern und meine Schwester, die leider schon verstorben ist, sowie natürlich meine Frau und ich. Aber die Zeiten haben sich nun mal geändert. Alle sind tot, nur meine Frau und ich leben noch.“
Mollenkopf schien für einen Moment etwas wehmütig und die arrogante Fassade bröckelte, offenbar hatte er hier schöne Zeiten erlebt.
„Was können Sie mir über Ihr Personal berichten? Ich habe vier Damen gesehen.“
„Das ist zum einen Frau Heidi Schmidt. Sie ist meine Sekretärin und rechte Hand. Sie hat, wie ich, nichts mit dem Verkauf zu tun. Heidi arbeitet schon lange bei uns, genauer gesagt seit sechzehn Jahren. Sie ist sehr tüchtig, loyal und zuverlässig. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie machen würde. Und dann haben wir noch die Käthe Hiendlmaier, sie ist am längsten in unserem Betrieb. Wir haben zusammen bei meinem seligen Herrn Vater gelernt und sie ist ebenfalls äußerst tüchtig und zuverlässig. Die Leitung der Geschäftsräume liegt im Grunde genommen in ihren Händen. Sie versteht es, mit Kunden umzugehen und sie genießt mein uneingeschränktes Vertrauen. Und dann ist da noch Petra Knabel. Sie ist die Jüngste in unserem Team, neunundzwanzig Jahre alt und erst seit eineinhalb Jahren bei uns. Mit ihr verstehe ich mich nicht immer gut. Ihre modernen Ansichten und ständigen Verbesserungsvorschläge nerven gewaltig.“
Viktoria schrieb eifrig mit und wartete, doch Herbert Mollenkopf sah sie nur an.
„Bis jetzt zähle ich drei Frauen, draußen standen aber vier?“
„Jetzt verstehe ich, entschuldigen Sie bitte, wo war ich nur mit meinen Gedanken? Das Ganze nimmt mich doch ganz schön mit. Ich habe meine eigene Frau völlig vergessen.“
„Was ist die Aufgabe Ihrer Frau?“
„Sie kümmert sich um alles, was anfällt. Für den Verkauf ist sie allerdings kaum zu gebrauchen. Dafür ist sie viel zu schüchtern und zurückhaltend. Viele Jahre habe ich versucht, ihr den Verkauf und den Umgang mit den Kunden näher zu bringen, leider erfolglos. Ich hätte seinerzeit wirklich mehr auf meine Eltern hören sollen. Die haben mir gleich gesagt, dass Alexandra nichts für das Geschäft ist. Aber was soll ich Ihnen sagen? Die Liebe war damals eben stärker.“
Das sollte gefühlvoll und liebevoll klingen, ging aber völlig in die Hose. Viktoria spürte sofort, dass Frau Alexandra Mollenkopf das schwarze Schaf hier war. Und so, wie Herbert Mollenkopf über diese Heidi Schmidt sprach, lief etwas zwischen den beiden, darauf könnte sie wetten.
„Ich habe immer noch nicht ganz verstanden, was die Aufgabe Ihrer Frau hier genau ist. Nach Ihrer Beschreibung ist Frau Schmidt Ihre rechte Hand und Frau Hiendlmaier und Frau Knabel sind für den Verkauf zuständig. Ich kenne mich im Einzelhandel nicht aus, aber was bleibt denn da noch übrig?“
„Herrgott nochmal, Sie wollen aber alles genau wissen, obwohl ich nicht verstehe, was das mit dem Einbruch zu tun hat. Meine Frau macht eben alles, was sonst noch so anfällt. Sie geht zur Bank, zur Post, räumt die Regale ein, bringt die Kleidung von den Kabinen wieder zu den Kleiderständern, putzt, kocht Kaffee…“
Viktoria war sprachlos, wie selbstverständlich Herbert Mollenkopf über die Arbeit seiner Frau sprach, und wie teilnahmslos seine Miene dabei war. Diese Ehe war offensichtlich am Ende und wurde nur wegen des Geschäfts aufrechterhalten.
„Können Sie mir sagen, wann Sie mit Ihrer Arbeit fertig sind? Ich muss das Geschäft öffnen, wir sind mitten im Winterschlussverkauf und die erste Frühjahrsmode ist bereits eingetroffen.“
Dieser Mensch war wirklich unglaublich. Mit einem Kopfschütteln und ohne eine Antwort ließ sie ihn zurück.
Inzwischen liefen die Befragungen der Angestellten und Frau Mollenkopfs. Hans Hiebler hatte sich sofort die äußerst hübsche und sehr aufreizend gekleidete Heidi Schmidt vorgenommen und sich mit ihr abseits gestellt, um sich mit ihr in Ruhe unterhalten zu können.
„Wann sind Sie heute gekommen?“
„Ich kam zufällig fast zeitgleich mit Herbert, ich meine natürlich mit Herrn Mollenkopf.“
Frau Schmidt war es sehr peinlich, dass sie sich gleich mit ihrem ersten Satz verplappert hatte und die Vertrautheit zwischen ihr und dem Chef mehr als offensichtlich werden ließ. Hans reagierte nicht darauf und dachte sich nur seinen Teil, denn in seinen vielen Berufsjahren war ihm schon weit Schlimmeres begegnet und im Grunde genommen war ihm nichts mehr fremd. Für ihn war sowieso schon vollkommen klar: Mollenkopf und Frau Schmidt hatten ein Verhältnis. Vorhin hatte er bemerkt, dass die beiden sehr vertraut miteinander sprachen und umgingen, er hatte einen guten Blick für solche Kleinigkeiten. Mit seinen zweiundfünfzig Jahren und der 1,80 Meter großen, sportlichen Figur war Hans Hiebler eine imposante und auffällige Erscheinung und ein absoluter Frauenheld. Aber seit dem Tod seiner letzten Freundin, der sich als Mordfall herausstellte und an dessen Aufklärung er selbst mitgewirkt hatte, hielt er sich Frauen gegenüber zurück und wollte seine Ruhe haben. Die Gerichtsverhandlung des Täters, zu der er vor drei Tagen die Zeugenvorladung bekommen hatte, fand in wenigen Wochen statt. Er schlief sehr schlecht, denn die schrecklichen Ereignisse und Bilder wurden wieder sehr lebendig und ließen ihm keine Ruhe. Der Tod seiner Doris war noch nicht lange her und schmerzte immer noch sehr. Sie war für ihn die richtige Frau gewesen, davon war er fest überzeugt. Sie war grundehrlich, bescheiden, witzig und überaus herzlich, alles Eigenschaften, die Heidi Schmidt nicht besaß. Er musste die Gedanken an seine Doris wegwischen und sich zwingen, sich seiner Arbeit zu widmen, was ihm aber sehr schwer fiel.
„Was ist genau Ihre Aufgabe bei Mode-Mollenkopf?“
„Ich bin die Sekretärin und arbeite eng mit Herrn Mollenkopf zusammen. Wir kümmern uns um den Einkauf, die Buchhaltung, Werbung und so weiter. Das übliche eben, das neben dem Ladengeschäft gemacht werden muss. Im Laden bin ich nur selten und pflege keinerlei Umgang mit Kunden. Es sei denn, es handelt sich um besondere Kundschaft, dann kümmern wir uns natürlich persönlich.“
„Aha. Und was sind besondere Kunden?“
Hans ärgerte sich über diese Ungleichbehandlung. Für ihn war es nämlich undenkbar, Kunden in verschiedene Kategorien und Wertigkeiten einzuteilen. Geld ist Geld, ganz gleich, von wem es kommt.
„Der Herr Bürgermeister und seine Gattin kommen sehr gerne zu uns, und viele wichtige Personen der Mühldorfer Gesellschaft. Erst kürzlich hatten wir einen Schlagersänger bei uns. Den Namen kann ich Ihnen natürlich nicht nennen, Diskretion ist bei uns oberstes Gebot. Für diesen erlesenen Kundenkreis sperren wir schon mal für eine Stunde das Geschäft zu oder sind auch gerne bereit, vor oder nach Ladenschluss zu arbeiten.“
Heidi Schmidt sprach so, als würde auch ihr der Laden gehören.
„Dann sind Sie also mit Herrn Mollenkopf liiert?“
Frau Schmidt errötete, diese Frage war ihr sehr unangenehm.
„Nein! Was denken Sie von mir? Das dort hinten ist Frau Mollenkopf, ich bin hier nur die Sekretärin.“
„Ja genau“, dachte sich Hans. Er konnte dieses überhebliche, dumme Geplapper nicht mehr ertragen und musste den Redeschwall bremsen, was ihm mit dem Frontalangriff auch gelang. Nun stand sie errötet und beinahe eingeschüchtert vor ihm. Von dem selbstbewussten, fast künstlichen Auftreten war keine Spur mehr zu sehen.
„Ist Ihnen in letzter Zeit etwas Ungewöhnliches aufgefallen?“
Sie überlegte lange, wobei sie immer noch um Fassung rang.
„Nein, mir ist nichts aufgefallen.“
„Da Sie ebenfalls im Büro arbeiten, wissen Sie sicher, was sich in dem Safe befand beziehungsweise was gestohlen wurde?“
„Ja, natürlich weiß ich das. Bargeld in Höhe von 142.000 Euro, die Goldmünzen im Wert von circa 20.000 Euro und der Schmuck von Frau Mollenkopf. Herbert, entschuldigen Sie, ich meine natürlich Herr Mollenkopf, hat bereits mit der Versicherung gesprochen, die eine genaue Aufstellung über die einzelnen Stücke und deren Wert erstellen wird.“
Das klang für Hans abgesprochen. Wie auch seiner Kollegin vorher, kamen ihm diese Wertgegenstände und die hohe Summe Bargeld unglaubwürdig vor. Offensichtlich bemerkte Heidi Schmidt, dass Hans ihr nicht glaubte.
„Sie können gerne die Bücher einsehen und alles überprüfen. Wir sind ehrbare, angesehene Menschen, und keine Betrüger.“
Hans konnte nicht einschätzen, ob sie nun log, oder nicht. Aber das alles würden sie später überprüfen, jetzt wollte er nur Fakten sammeln.
„Was können Sie mir über das Blut sagen?“
„Blut? Welches Blut?“
Sie schrie fast und schien überrascht. Oder war es nur Unsicherheit?
„Vielen Dank, Frau Schmidt, wenn wir noch Fragen haben, kommen wir wieder auf Sie zu.“
Werner Grössert hatte die Befragung von Käthe Hiendlmaier übernommen, auch, weil er sie persönlich kannte.
„Guten Morgen Herr Grössert, der Anzug steht Ihnen ausgezeichnet.“
„Danke, Frau Hiendlmaier, den haben ja auch Sie ausgesucht. Anfangs war ich skeptisch, ob mir die Farbe steht, aber auch meine Frau ist begeistert.“
„Wie geht es Ihrer Frau? Ist sie immer noch in Bad Reichenhall in der Klinik?“
Werner Grössert nickte. Die Frau des achtunddreißigjährigen, 1,75 Meter großen, gepflegten und sehr modisch gekleideten Mannes litt unter einer schweren Hautallergie, die in Schüben verstärkt auftrat und sie daher zwang, immer wieder in Spezialkliniken behandelt zu werden. Es ging ihr aber deutlich besser, sie durfte heute die Klinik verlassen und kam endlich wieder nach Hause. Werner Grössert hatte deshalb sehr gute Laune und für abends extra einen Tisch in einem noblen Restaurant reserviert. Werners Frau war von seinen Eltern, angesehenen Rechtsanwälten in Mühldorf, nicht sehr gerne gesehen. Sie hatten sich für ihren Sprössling eine bessere Partie erhofft. Ihre Abneigung galt nicht nur der Schwiegertochter, sondern auch der Wahl seines Berufes. Sie hätten sich gewünscht, dass ihr Sohn die Anwaltskanzlei übernommen hätte. Stattdessen lehnte er ab und wurde in Ihren Augen „nur Polizist“. Für sie ein sozialer Abstieg, der nur sehr schwer zu ertragen war und wofür sie sich vor ihren Freunden, Mandanten und innerhalb der Familie schämten. Auch Werners Eltern waren Stammkunden bei Mode-Mollenkopf, daher wussten auch alle über die Familienverhältnisse Bescheid. Werners Eltern nahmen bezüglich ihrer ungeliebten Schwiegertochter und der Berufswahl des Sohnes kein Blatt vor den Mund.
„Wann sind Sie heute gekommen, Frau Hiendlmaier?“
„Etwa gegen halb neun. Herbert und Frau Schmidt waren bereits hier, die beiden sind immer die Ersten.“
Werner kannte Käthe Hiendlmaier schon von klein auf, da sie nicht nur hier gelernt hatte, sondern damals auch nicht weit von seinem Elternhaus wohnte. Sehr oft kreuzten sich auch außerhalb des Geschäfts ihre Wege. Schon von jeher kaufte er beinahe seine komplette Garderobe hier bei Mollenkopf und war immer sehr zufrieden. Werner war es nicht entgangen, dass Mollenkopf und Frau Schmidt ein Verhältnis hatten. Das wusste jeder in Mühldorf, obwohl sich die beiden alle erdenkliche Mühe gaben, das Ganze geheim zu halten.
„Ist Ihnen in letzter Zeit irgendetwas aufgefallen?“
„Nein, es war alles so wie immer. Ist es nicht schrecklich, dass gerade wir ausgeraubt wurden?“
„Wie meinen Sie das?“
Sie sah sich um und flüsterte.
„Wissen Sie nicht, dass das Geschäft sehr schlecht dasteht? Vor allem, seit der neue Laden gegenüber eröffnet hat. Unsere frühere Kollegin Jutta Tauscher hat sich doch selbständig gemacht und mit einem Kompagnon das Geschäft genau gegenüber eröffnet. Eine direkte Konkurrenz zu Mollenkopf. Nicht nur wegen des Standorts, sondern auch wegen des Warenangebots. Die Jutta war immer sehr geschickt im Umgang mit Mode und den Kunden. Ich war ein Mal in dem Geschäft drin, als Jutta gerade wegfuhr, die Neugier hat mich getrieben. Was soll ich sagen? Ein tolles Geschäft! Modern, sauber, hell und freundlich. Natürlich habe ich den einen oder anderen Stammkunden gesehen, wie er in das neue Geschäft gegenüber ging. Aber das habe ich Herbert selbstverständlich nicht erzählt. Das würde ihm einen Schlag versetzen.“
Auch Werner hatte schon von der neuen Konkurrenz gehört und hatte vor, sich selbst dort umzusehen. Jutta Tauscher kannte er natürlich ebenfalls seit vielen Jahren und schätzte auch ihren Modegeschmack. Werners Frau war nur ein einziges Mal bei Mode-Mollenkopf gewesen und dann nie wieder. Frau Hiendlmaier hatte sie zu sehr ausgequetscht und wollte mit ihr über die Schwiegereltern tratschen, was Frau Grössert sehr unangenehm war. Sie kaufte ihre Kleidung hauptsächlich über Kataloge oder im Internet, denn mit ihrer Hautallergie hatte sie sehr große Hemmungen und vermied es, dass fremde Personen damit konfrontiert wurden und sie sich damit zeigen musste.
„Sie meinen also, dass Mode-Mollenkopf finanzielle Engpässe hat?“
„Ich denke, über diese Phase sind wir schon längst drüber. Wenn Sie mich fragen, stehen wir schon kurz vor der Schließung. Aber bitte, das wissen Sie natürlich nicht von mir.“
„Natürlich nicht. Falls notwendig, werden wir die Bücher entsprechend prüfen. Noch eine Frage bezüglich des Einbruchs, Frau Hiendlmaier. Der Safe wurde aufgebrochen, Ist Ihnen bekannt, was gestohlen wurde?“
„Nein, damit habe ich schon seit vielen Jahren nichts mehr zu tun. Früher habe ich mich immer um die Tageseinnahmen gekümmert, sie abgezählt, in den Safe gelegt und zur Bank gebracht. Aber seit Frau Schmidt hier ist, hat sie das übernommen und Frau Mollenkopf bringt das Geld zur Bank. Seit einigen Jahren haben nur noch Herbert und Frau Schmidt Zugang zum Safe, nicht einmal die Chefin, das muss man sich mal vorstellen,“ fügte sie hinzu.
„Sie haben auch keine Vorstellung, was in diesem Safe aufbewahrt wurde? Sie haben nichts mitbekommen und niemals einen Blick reinwerfen können?“
„Nein. Ich weiß natürlich in etwa, wie hoch die Tageseinnahmen sind. Aber das war es auch schon.“
„Was können Sie mir über das Blut sagen?“
„Welches Blut? War es das, was Ihnen dieser kleine Mann dort eben im Dunkeln gezeigt hat? Um Gottes Willen! Hier wurde doch niemand umgebracht?“
Erschrocken schrie sie und hielt sich dabei an Werners Arm fest.
„Beruhigen Sie sich bitte. Bis jetzt haben wir nur Blutspuren gefunden, die vermutlich aufgewischt wurden, mehr nicht. Wer ist bei Ihnen für die Reinigung zuständig? Gibt es eine Putzfrau?“
Das war Frau Hiendlmaier nun sehr peinlich, wieder flüsterte sie nur.
„Bei uns putzt Frau Mollenkopf. Sie hat gestern durchgewischt und kam heute Morgen eine halbe Stunde nach mir gegen neun Uhr.“
„Wie bitte? Die Chefin putzt hier?“
„Die Alexandra ist ein ganz armer Mensch. Immer wieder habe ich ihr gesagt, dass sie sich von ihrem Mann nicht alles gefallen lassen soll. Es ist eine Schande, wie er sie behandelt. Auch vor Kunden und Geschäftspartnern ist er sehr unfreundlich und herablassend zu ihr. Sie putzt hier schon viele Jahre. Anfangs hieß es, das sei nur vorübergehend, um Geld zu sparen. Aber das war nur ein Vorwand. Ganz unter uns: Damals ging es uns hervorragend. Mir konnte man nichts vormachen, ich kannte die Einnahmen und die unterschieden sich nicht zu denen der Vorjahre. Herbert hat das nur gemacht, um sie zu erniedrigen. Ich bin davon überzeugt, dass es ihm Spaß macht, seine Frau zu schikanieren. Aber mehr aus dem Privatleben vom Chef erfahren Sie von mir nicht, ich habe sowieso schon viel zu viel gesagt.“
„Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bei mir.“
Leo Schwartz hatte die verschüchterte Frau längst entdeckt, die sich alle erdenkliche Mühe gab, sich unauffällig zu verhalten.
„Wer sind Sie, junge Frau?“
„Alexandra Mollenkopf.“
Das war die Chefin? Sehr interessant! Leo musste sich anstrengen, um sie zu verstehen. Er stellte sich vor und nahm die Frau, die hier augenscheinlich sehr gehemmt war und sich sehr unwohl fühlte, kurzerhand mit nach draußen. Sie gingen ein paar Schritte und Leo bemerkte, dass sie mehrmals tief durchatmete. Der 49-jährige Leo war nun schon seit vier Monaten in Mühldorf am Inn, nachdem er nach einem Vorfall in Ulm hierher strafversetzt wurde. Strafversetzt war genau das, was seine momentane Situation beschrieb. Er war sehr ungern von Ulm und den dortigen Kollegen und Freunden weggegangen, hatte sich aber in der kurzen Zeit sehr gut eingelebt. Auch wenn er als Schwabe immer noch Probleme mit dem hiesigen bayerischen Dialekt hatte.
In dem Modegeschäft hatte Leo natürlich sofort die abschätzenden Blicke der Damen und vor allem von Herrn Mollenkopf bemerkt, als sie ihn wahrgenommen hatten. Mit seiner Erscheinung und dem Outfit war er in einem Modegeschäft völlig fehl am Platz. Er trug immer Jeans, das ganze Jahr über braune Cowboystiefel, je nach Jahreszeit entweder ein einfarbiges Hemd oder ein T-Shirt mit dem Aufdruck einer Rockband, sowie eine alte, mittlerweile speckige Lederjacke. Alles Kleidungsstücke, die ihren Zweck erfüllten und die Leo als überaus modern, bequem und zeitgemäß ansah. Dazu war Leo mit seinen 1,90 Meter ziemlich groß, sehr schlank und seine mittlerweile kurzen grauen Haare rundeten das Bild nicht gerade ab. Wo er auftrat, fiel er einfach sofort auf. Neben der 53-jährigen, schlanken 1,75 Meter großen, sehr gepflegten, elegant gekleideten Frau Mollenkopf mit der blonden Kurzhaarfrisur, wirkte Leo beinahe schäbig.
„Das war eine gute Idee von Ihnen. Ich brauchte dringend frische Luft und Ablenkung. Vielen Dank, Herr Schwartz, Sie sind ein sehr netter und umsichtiger Mensch,“ riss ihn Frau Mollenkopf aus seinen Gedanken an Ulm. Sie gingen schweigend einige Meter.
In seinen vielen Jahren als Polizist hatte Leo die Menschen kennengelernt. Als er Frau Mollenkopf sah und sie den Mund aufmachte, wusste er sofort, dass er es mit einer unterdrückten, schüchternen Frau zu tun hatte, bei der er sehr behutsam vorgehen musste.
„Wie kommen Sie mit der Situation zurecht?“
„Es geht einigermaßen, vielen Dank. Der Gedanke daran, dass jemand bei uns eingebrochen ist, ist sehr erschreckend. Ich hatte noch nie mit der Polizei zu tun.“
„Sie brauchen keine Angst zu haben. Sind Sie in der Lage, mir ein paar Fragen zu beantworten? Dazu können wir uns natürlich auch in das Café hier setzen.“
„Geht das?“
„Warum sollte das nicht gehen? Kommen Sie, junge Frau, ich lade Sie natürlich ein.“
Sie standen vor einem kleinen Café. Er hielt ihr charmant die Tür auf und ein Lächeln huschte über das hübsche Gesicht. Sie setzten sich in eine ruhige Ecke und bestellten Cappuccino, wobei sie sich zunächst über belanglose Dinge unterhielten. Nur langsam taute Frau Mollenkopf auf, was auch daran lag, dass hier keine Gäste waren, die ihr bekannt vorkamen.
„Als ich jung war, hatte ich große Pläne,“ schwärmte sie mit verträumtem Blick. „Ich hatte gerade mein Abitur in der Tasche und mich an der Kunstschule in Wien eingeschrieben. Können Sie sich vorstellen, dass ich die Aufnahmeprüfung ohne große Probleme bestanden habe?“
„Natürlich kann ich mir das vorstellen, sehr gut sogar.“
„Ich habe schon als Kind sehr gerne gezeichnet und meine Eltern haben mich dazu motiviert, meiner Neigung und Begabung zu folgen.“
„Und dann ist Ihnen Ihr Mann über den Weg gelaufen?“
Alexandra Mollenkopf wurde immer gesprächiger. Offensichtlich tat es ihr gut, dass sich jemand für sie interessierte. Hatte sie sonst niemanden, mit dem sie reden konnte?
„Ja, dann lief mir Herbert über den Weg. Was war ich damals verliebt. Er war ein großer, stattlicher Mann, der mir die Welt zu Füßen legen wollte. Wenn Sie ihn damals gekannt hätten, würden Sie mich verstehen. Herbert war ein ganz anderer Mann, als heute. Er hat mich die ersten zwei Semester unterstützt, wo er nur konnte und wir hatten gemeinsam sehr viel Spaß. Dann wurde ich schwanger und wir haben geheiratet. Ich habe mein Studium abgebrochen. Meine Schwiegereltern hatten mich davon überzeugt, dass ich in dem Modegeschäft besser aufgehoben wäre. Was war ich damals naiv und dumm. Meine Eltern, Gott hab sie selig, hatten mich gewarnt und mich eindringlich gebeten, geradezu angefleht, diesen Schritt nicht zu tun, denn sie hatten Herberts Eltern kennengelernt und mochten sie überhaupt nicht. Sie wollten unbedingt, dass ich mein Studium fortsetze, haben mir ihre Hilfe mit dem Kind angeboten. Aber ich dumme Kuh wollte damals nicht auf meine Eltern hören. Seitdem bin ich in Mühldorf.“
„Ihr Mann behandelt Sie nicht gut? Entschuldigen Sie meine Indiskretion, aber ich sehe bei Frauen sofort, wenn sie unglücklich sind. Und ich habe lange keine so unglückliche Frau mehr gesehen.“
Alexandra Mollenkopf sah Leo lange an.
„Sie sind wirklich ein sehr netter Mensch, Herr Schwartz. Verzeihen Sie meine Direktheit, aber Sie sind überhaupt nicht so, wie ich mir einen Kriminalbeamten vorstelle. Mit Ihrem lustigen, schwäbischen Akzent haben Sie es zwischen all den alteingesessenen Bayern sicher nicht leicht. Ich spreche da aus Erfahrung. Ich komme aus Österreich, genauer gesagt aus Linz. Es hat viele Jahre gedauert, bis man mich hier akzeptiert hat. Die Österreicherin hat man mich früher immer genannt, und auch heute höre ich die Bezeichnung noch ab und an. Ja es ist richtig, meine Ehe ist schon lange vorbei und Herbert demütigt mich, wo er nur kann. Aber ich muss wegen des Geschäfts durchhalten. Was soll ich alleine machen? Ich habe nichts gelernt und kann mich niemals alleine über Wasser halten. Von meinem Mann habe ich nichts zu erwarten, dafür hat er schon vor vielen Jahren gesorgt und das reibt er mir bei jeder Gelegenheit unter die Nase. Ich kann also nicht anders und muss durchhalten und versuchen, zu überleben.“
„Man hat immer eine Wahl, man braucht nur Mut und Willenskraft. Von beidem haben Sie leider nicht viel, das tut mir sehr leid. So gerne ich hier mit Ihnen sitze und mich mit Ihnen unterhalte, muss ich nun leider auf die Arbeit zurückkommen. Was wurde bei Ihnen gestohlen? Was war in dem Safe?“
„Gute Frage. Das weiß ich nicht. Ich habe keinen Zugang zu dem Safe und hatte damit nie etwas zu tun. Meine Aufgabe bezüglich des Geldes bestand lediglich darin, die Tasche mit den Tageseinnahmen zur Bank zu bringen, wobei mich die Summe nicht zu interessieren hatte. Ich habe auch keine Bankvollmacht oder sonstige Befugnisse, die wurden mir schon lange alle entzogen. Auch daran werde ich von meinem Mann ständig erinnert. Herbert macht mir immer wieder klar, wo mein Platz ist. Ganz unten.“
„Sie haben keinen Schlüssel für den Safe? Sorry, aber das ist ziemlich dumm, zumal dort ihr Schmuck lag.“
„Ja, das ist für Außenstehende nur schwer zu verstehen, ich verstehe es ja selbst nicht. Ich habe wirklich keinen Schlüssel für den Safe. Meines Wissens nach haben nur Herbert und Frau Schmidt einen. Anfangs habe ich nachgefragt, um einen Schlüssel gebeten, aber Herbert hat abgelehnt. Ich habe wirklich versucht, alles wieder irgendwie hinzubiegen. Ich habe mich angestrengt, mich in das Geschäft zu integrieren, habe Tag und Nacht geschuftet. Aber vergeblich. Ich konnte Herbert nichts recht machen, wir konnten uns irgendwann nicht mal mehr normal unterhalten, ohne dass er ausfallend wurde. Inzwischen habe ich längst aufgegeben.“
„Wir haben Blutflecken auf dem Boden gefunden.“
„Blutflecken? Erst gestern Abend habe ich den Boden gewischt und von Blut war da keine Spur. Deshalb hat Ihr Kollege also so einen Wind gemacht? Er hat Blutspuren auf unserem Boden gefunden? Woher kommen die?“
Frau Mollenkopf schien ehrlich überrascht. Offensichtlich hatte sie sich bereits Gedanken darüber gemacht, was die Spurensicherung gefunden hatte.
„Sie wischen den Boden? Wurden Sie auch zur Putzfrau degradiert?“
„Das macht mir nichts aus, es ist eine Arbeit, wie jede andere auch. Ich habe Probleme damit, mit Kunden umzugehen. Diese Arbeit ist mir unangenehm und liegt mir nicht. Ehrlich gesagt, hält sich mein Interesse für Mode in Grenzen, da ist es mir schon lieber, zu putzen. Sie müssen mir glauben, dass auf dem Boden wirklich kein Blut war. Was ist nur während des Einbruchs geschehen? Denken Sie, dass jemand verletzt oder gar umgebracht wurde?“
Sie sah ihn angsterfüllt an.
„Wir werden der Sache auf den Grund gehen. Über Ihren Mann und Sie konnte ich mir jetzt schon ein ungefähres Bild machen. Was können Sie mir über die anderen Mitarbeiter erzählen?“
„Käthe ist eine ganz Liebe, ich mag sie sehr gerne. Von Anfang an hat sie es immer gut mit mir gemeint, obwohl sie damals selbst in Herbert verliebt war, das habe ich sofort gespürt. Mit Frau Schmidt habe ich nicht viel zu tun. Wenn wir uns sehen, ist sie immer höflich und freundlich zu mir. Die kleine Petra ist noch nicht lange bei uns und hat immer tolle Ideen und Vorschläge, wobei sie sich regelmäßig mit meinem Mann in die Haare kriegt. Ich bewundere Petra sehr für ihren Mut und ihre Zielstrebigkeit, aus ihr wird noch was werden. Allerdings nicht bei uns, denn Herbert ist ein Sturschädel und erlaubt keinerlei Änderungen. Käthe war früher ähnlich wie Petra, hat aber längst aufgegeben und fügt sich dem Diktat meines Mannes. Auch sie würde vieles anders machen, das hat sie mir immer wieder in persönlichen Gesprächen gestanden. Aber sie hat nur noch wenige Jahre bis zur Rente und möchte sich die Zeit nicht mehr schwermachen. Sie hat schon vor vielen Jahren begriffen, dass mit meinem Mann nicht zu reden ist, dass es sich nicht lohnt, Vorschläge vorzubringen. Dabei hat sie zusammen mit Herbert früher durchaus einiges auf die Beine gestellt. Aber das ist lange her.“
Leo verstand und sie schwiegen einige Minuten.
„Woher kommt dieser Hass Ihres Mannes?“
Alexandra Mollenkopf suchte nach Worten und blickte nur auf ihre Kaffeetasse.
„Unser Sohn ist damals im Kindbett gestorben, er wurde nur wenige Tage alt. Ich kam ins Krankenhaus, weil bei mir Komplikationen aufgetreten sind. Die Ärzte haben mir dringend von einer erneuten Schwangerschaft abgeraten und ich habe mich sterilisieren lassen, wozu mir meine Eltern geraten haben. Sie hatten mich geradezu angefleht, diesen Eingriff umgehend vornehmen zu lassen. Ich musste mich binnen weniger Minuten entscheiden. Natürlich habe ich versucht, meinen Mann um Rat zu fragen. Aber ich konnte ihn nicht erreichen, er war damals bei einer Modemesse in Italien. Herbert hat erst zwei Tage später vom Tod unseres Sohnes und von der Sterilisation erfahren. Er war am Boden zerstört. Die Trauer um unseren Sohn hat ihn fast umgebracht. Seine Eltern hatten den Tod ihres Enkels hautnah mitbekommen und waren ebenfalls bestürzt, sie liebten den Kleinen abgöttisch. Aber dann erfuhren sie von der Sterilisation und machten mir noch im Krankenhaus heftige Vorwürfe. In ihren Augen hatte ich egoistisch gehandelt. Auch Herbert hat mir nie verziehen, dass ich den Eingriff ohne sein Einverständnis habe vornehmen lassen und ihm dadurch die Chance auf einen Erben zunichte gemacht habe.“
„Das ist hart. Ist das der Grund, warum ihr Mann so einen Hass auf Sie hat?“
„Ja. Seitdem erlebe ich die Hölle auf Erden. Ich habe mich damals für den Eingriff entschieden und war davon überzeugt, dass Herbert damit einverstanden gewesen sei, da schließlich mein Leben durch eine weitere Schwangerschaft auf dem Spiel stand. Wie naiv ich doch war! Ich hatte die romantische Vorstellung, dass Herbert mich so sehr liebt, dass er mich nicht nur versteht, sondern auch tröstet, schließlich litt auch ich unter der Situation. Ich glaubte daran, dass die Zeit alle Wunden heilt, aber das war nicht der Fall. Nicht nur er hat mir das nie verziehen, sondern auch meine Schwiegereltern haben mich seit der Zeit gemieden und mich verachtet.“
„Warum haben Sie sich nicht einfach scheiden lassen?“
„Eine Unternehmergattin im tiefkatholischen Bayern? Nein, das war undenkbar. Niemals hätte Herbert einer Scheidung zugestimmt. Was hätten denn die Leute gesagt? Die Familie Mollenkopf gibt es in Mühldorf bereits seit vielen Generationen und gehört zur oberen Gesellschaftsschicht, wie immer wieder gerne betont wurde. Da konnte man keine negativen Geschichten brauchen, und eine Scheidung gleich gar nicht. Meinen Eltern wollte ich das auch nicht antun, denn sie waren sehr gläubige Menschen und eine Scheidung hätte ihnen ganz schön zugesetzt. Außerdem hatte ich immer noch einen Funken Hoffnung, dass wir uns eines Tages wieder annähern, was aber leider bis heute nicht geschehen ist.“
Leo Schwartz war tief getroffen vom Schicksal dieser Frau. Er konnte durchaus nachvollziehen, was es für damals für ein Skandal gewesen wäre. Schließlich war er nur wenig jünger als Frau Mollenkopf. In dem kleinen, katholischen Städtchen Mühldorf, in dem jeder jeden kannte, unvorstellbar. Schon seine eigene Scheidung vor nunmehr sieben Jahren hatte sogar einige Wellen geschlagen, was ihm aber völlig egal war. Er kümmerte sich nicht um das Gerede und die Meinung anderer. Leo hatte sich damals von Karlsruhe nach Ulm versetzen lassen, um seiner geschiedenen Frau und ihrem neuen Partner nicht über den Weg laufen zu müssen. Als er jetzt nach langer Zeit über seine geschiedene Frau nachdachte, stellte er erstaunt fest, dass ihm der Gedanke an sie beinahe nichts mehr ausmachte. Er konnte sich ihr Gesicht auch nur noch schemenhaft vorstellen, die Zeit heilte tatsächlich alle Wunden. Er war trotz der erschütternden Geschichte von Frau Mollenkopf erleichtert über diese persönliche Erkenntnis. Leo bezahlte und sie gingen langsam wieder zurück. Herbert Mollenkopf kam ihnen wütend entgegen.
„Was fällt dir ein, einfach wegzugehen? Wo warst du so lange? Und wer zum Teufel sind Sie?“
Er war knallrot vor Wut und packte seine Frau unsanft am Arm.
„Leo Schwartz, Kriminalpolizei Mühldorf. Und Sie lassen augenblicklich Ihre Frau los! Haben wir uns verstanden?“
Sofort ließ Mollenkopf los und trat einen Schritt zurück.
„Entschuldigen Sie, das konnte ich nicht wissen. Sie müssen verstehen, dass ich mir Sorgen um meine Frau gemacht habe.“
Leo ging an ihm vorbei und blieb neben ihm stehen.
„Wenn ich mitbekomme, dass Sie Ihre Frau nochmal so grob anfassen, können Sie sich auf etwas gefasst machen.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Leo weiter und ließ ihn mit offenem Mund stehen.
Die Beamten hatten ihre Arbeit hier vor Ort vorerst beendet, Friedrich Fuchs war mit der Spurensicherung noch lange nicht fertig. Die Kriminalbeamten fuhren ins Präsidium, wo ihr Vorgesetzter Rudolf Krohmer ungeduldig wartete. Selbstverständlich kannte auch er das Modehaus Mollenkopf und war entsetzt, als er hörte, dass dort eingebrochen wurde. Wenig später saßen sie im Besprechungszimmer und tranken Kaffee, den ihnen Frau Gutbrod servierte. Sie war auch heute für ihre sechzig Jahre wieder viel zu modisch gekleidet. Sie trug zur Abwechslung türkisfarbene Strähnen im schwarz gefärbten langen Haar, passend zu dem türkisfarbenen Minikleid, den schwarzen Strümpfen und den viel zu hohen Schuhen. Sie trödelte auffällig, denn sie hatte läuten hören, dass in einem Modegeschäft eingebrochen wurde. Natürlich wollte sie aus erster Hand hören, um welches Geschäft es sich handelte. Als Sekretärin von Rudolf Krohmer würde sie es in Kürze sowieso erfahren, aber sie war doch zu neugierig und musste es sofort wissen. Die Kollegen warteten allerdings, bis sie das Zimmer wieder verlassen hatte. Sie wollten offensichtlich nicht in ihrer Gegenwart sprechen, was das Ganze für sie nur noch interessanter machte und wodurch ihre Neugier noch wuchs.
Jeder einzelne trug seine Vernehmungsprotokolle vor.
„Mit Petra Knabel habe ich gesprochen,“ beendete Viktoria ihre Ausführungen. „Sie ist seit eineinhalb Jahren in dem Modehaus beschäftigt und hat bereits eine neue Anstellung, da sie mit ihrem Arbeitsplatz, sowie mit dem – ich zitiere – „sturen, überheblichen und völlig verblödeten Herrn Mollenkopf“ nicht mehr länger arbeiten möchte.“
Rudolf Krohmer hatte wortlos zugehört und war sehr erstaunt über das, was er über das Ehepaar Mollenkopf hörte. Er war den beiden in den letzten Jahren ab und zu bei verschiedenen Veranstaltungen über den Weg gelaufen und hatte immer den Eindruck gehabt, dass die beiden ein schönes Paar abgaben und absolut harmonierten. Auch wenn Krohmer bei Mode-Mollenkopf einkaufte, gab sich der Inhaber immer charmant und wortgewandt, es fiel nicht ein böses Wort. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er nicht von Frau Mollenkopf bedient wurde, sondern immer nur von Herbert Mollenkopf und Heidi Schmidt.
„Ich fasse nochmals zusammen: Die Ehe der Mollenkopfs ist zu Ende. Mollenkopf erniedrigt scheinbar mit Vorliebe seine Frau, die sich das wiederum gefallen lässt, da sie von ihrem Mann finanziell abhängig ist. Mollenkopf hat ein Verhältnis mit Heidi Schmidt.“ Das Verhältnis wurmte Krohmer am meisten, denn er kannte und schätzte die junge Frau bisher sehr. „Dann haben wir die Verkäuferin Käthe Hiendlmaier, die kurz vor der Rente steht und sich Mollenkopf nicht widersetzt. Die junge Angestellte Petra Knabel widersetzt sich ihrem Arbeitgeber und tritt in Kürze eine neue Stellung an. Wie ich verstanden habe, glauben Sie keinesfalls an das, was Mollenkopf als gestohlen angegeben hat?“
Er blickte in die Runde und bekam allseits Zustimmung. Auch er selbst glaubte nicht daran. Das Bargeld konnte er vielleicht noch nachvollziehen, obwohl er es selber wahrscheinlich umgehend zur Bank gebracht hätte. Aber welcher normal denkende Mensch legt den Schmuck seiner Frau und auch noch eine Sammlung Goldmünzen in den Safe seines Geschäfts? Dafür wählte man doch das Privathaus oder die Bank. Nein, für ihn war Mollenkopfs Angabe nicht nachvollziehbar.
„Nehmen Sie sich den Laden genauer vor und überprüfen Sie, ob das Modegeschäft tatsächlich kurz vor der Schließung steht.“
„Wie sieht es mit den Privatkonten der Mollenkopfs aus? Bekommen wir die Genehmigung?“
Rudolf Krohmer schüttelte energisch den Kopf.
„Keine Chance, das kriege ich nicht durch. Die beiden sind angesehene Personen der Mühldorfer Gesellschaft. Was glauben Sie, was das für Wellen schlägt? Außerdem geht es offiziell nur um einen Einbruch. Hat sich Fuchs bezüglich der Blutspuren gemeldet?“
„Noch nicht. Ich glaube, er ist noch nicht zurück.“
Krohmer war sauer. Fuchs arbeitete nun schon seit Stunden vor Ort und wie er ihn kannte, bestimmt nicht gerade diskret und unauffällig. Ihn grauste jetzt schon vor den Problemen, die das mit sich bringen würde. Ohne ein weiteres Wort ging er in sein Büro und dachte über das nach, was er eben gehört hatte. Sein Telefon klingelte, es war Herbert Mollenkopf.
„Herr Krohmer, ich grüße Sie. Sie haben bestimmt schon gehört, welches Unglück uns widerfahren ist?“
Krohmer atmete tief durch, der Horror ging bereits los.
„Ich habe eben mit meinen ermittelnden Beamten gesprochen. Es tut mir sehr leid, was passiert ist. Für Sie und vor allem für Ihre Frau muss das Ganze schrecklich sein. Sie können versichert sein, dass meine Kollegen mit Hochdruck an dem Fall arbeiten.“
„Jaja, danke für Ihr Mitgefühl. Ich muss gestehen, dass ich von Ihren Beamten nicht sehr freundlich behandelt wurde, um es einmal vorsichtig auszudrücken. Wissen Ihre Leute nicht, wer ich bin? Natürlich möchte ich keine Sonderbehandlung, aber ich kam mir vor wie ein Schwerverbrecher. Die Umgangsformen Ihrer Mitarbeiter lassen sehr zu wünschen übrig.“
„Das tut mir leid, Herr Mollenkopf. Sie sehen das bestimmt aufgrund Ihres Schocks zu eng. Meine Leute machen nur ihre Arbeit und waren bestimmt nicht mit Absicht unfreundlich zu Ihnen, das kommt Ihnen nur so vor. Sie wollen doch auch, dass der Einbruch so rasch wie möglich aufgeklärt wird. Vor allem die Blutspuren bereiten uns Kopfschmerzen.“
Mollenkopf ging nicht darauf ein. Offensichtlich interessierte er sich nicht für die Blutspuren, die mit ihm und seinem Geschäft absolut nichts zu tun hatten.
„Ich habe immer noch die Polizei im Haus. Wann gedenken Ihre Leute, meinen Laden wieder freizugeben, damit ich meinen Kunden ungehindert Zugang gewähren kann?“
„Das kann ich leider noch nicht sagen. Ich verspreche Ihnen, mich umgehend darum zu kümmern und melde mich wieder bei Ihnen, sobald wir grünes Licht geben können.“
„Ich verlasse mich auf Ihr Wort. Grüße an Ihre Gattin.“
Mollenkopf war sehr ungehalten und hatte aufgelegt. Krohmer selbst hatte kaum den Hörer aufgelegt, als es erneut klingelte; diesmal war es der Bürgermeister.
„Rudolf, ich grüße dich. Was musste ich von Herrn Mollenkopf hören?“
Die Geschichte war bereits durch Mollenkopf verbreitet worden. Krohmer konnte dem Bürgermeister auch nicht mehr sagen und musste ihm versprechen, gerade in diesen Fall mit äußerster Diskretion zu behandeln. Hätte er ihm von den Blutspuren berichten sollen, von denen der Bürgermeister offensichtlich nichts wusste? Warum sollte er? Das waren Ermittlungsinterna, die keinen Außenstehenden etwas angingen.
Nach dem Gespräch lehnte sich Krohmer zurück. Er musste mit einem Menschen seines Vertrauens sprechen, nahm den Hörer in die Hand und rief seine Frau an, die ihm geduldig zuhörte. Wie immer fand sie die richtigen Worte, um ihn zu beruhigen, was auch nötig war, denn er wusste genau, was jetzt auf ihn zukam. Das Telefon würde ab sofort nicht mehr stillstehen, von der Presse natürlich ganz zu schweigen. Rudolf Krohmer hasste so etwas und es war das einzige, was er an seinem Job hasste.
2.
Am Nachmittag gingen Viktoria und Hans zum Konkurrenzgeschäft von Mode-Mollenkopf. Es trug den Namen Fashion-Star, und war genau auf der anderen Straßenseite des Stadtplatzes und wurde vor über einem Jahr eröffnet. Die Inhaberin Jutta Tauscher war über den Besuch der Kripobeamten nicht überrascht, sie schien sie sogar zu erwarten.
„Sie kommen wegen Mollenkopf? Mich wundert es schon, dass bei ihm eingebrochen wurde, bei dem Trottel ist doch nichts zu holen.“
Die 39-jährige, rothaarige, schlanke Frau sah die beiden mit ihren stechend grünen Augen und einem fetten Grinsen an.
„Sie haben davon gehört?“
„Davon gehört? Hey, das ist Stadtgespräch. Ihr kleiner Sheriff mit dem weißen Kittel hat einen Wind gemacht, dass man gar nicht umhin kam, auf das Geschehen aufmerksam zu werden. Wir saßen da vorn im Schaufenster und haben zugesehen, wie der Mann mit seiner Spürnase nur knapp über dem Boden arbeitete, wir hatten ihn daher mit Lassie verglichen.“ Jutta Tauscher lachte laut. „Das war sehr interessant, ein Krimi im Fernsehen ist ein Dreck dagegen.“
„Sie haben wirklich zugesehen?“
„Klar! Am Stadtplatz passiert doch sonst nichts. Wir sind alle wie gebannt dort gesessen und haben zugesehen, auch unsere Kundschaft. Wenn ich es mir recht überlege, war das schon toll, endlich war mal was los. Es stimmt also doch, dass bei Mollenkopf eingebrochen wurde? Ich hielt das für ein Gerücht.“
Viktoria musste über die drollige Beschreibung des Kollegen Fuchs beinahe lachen, denn die entsprach aus ihrer Sicht absolut den Tatsachen.
„Das mit dem Einbruch stimmt. Aber wie kommen Sie darauf, dass bei ihm nichts zu holen sei?“
„Weil der Trottel pleite ist, das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern. Gehen wir in mein Büro, dort können wir ungestörter reden. Im Gegensatz zu Mollenkopf habe ich jede Menge Kundschaft, die unser Gespräch besser nicht mithören sollten. Ich möchte nicht gerne als Klatschtante dastehen.“
Sie folgten der munteren, aufgeweckten Frau in ein gemütliches Büro und sie setzte den beiden ungefragt einen Kaffee vor. Hans mochte die Frau sofort, denn sie hatte nicht nur blendende Laune, sondern war auch offen und ehrlich.
„Wie lange waren Sie bei Mode-Mollenkopf beschäftigt?“
Viktoria hatte ihren Block in der Hand und machte sich eifrig Notizen. Auch sie fand Frau Tauscher sehr sympathisch und konnte sich durchaus vorstellen, dass sie und Mollenkopf überhaupt nicht gut miteinander auskamen.
„Das waren sieben Jahre, sieben sehr lange Jahre. Mit diesem Trottel von Mollenkopf konnte man einfach nicht reden. Systematisch hat der mit seinen Ansichten und seinem Starrsinn das Geschäft an die Wand gefahren. Sie können sich nicht vorstellen, was das mal für eine Goldgrube war. Aber Mollenkopf ist unflexibel, hält an Lieferanten und alten Strukturen fest. Wie oft habe ich versucht, ihm begreiflich zu machen, dass man mit der Zeit gehen muss, aber für jeden Verbesserungsvorschlag war er immun. Irgendwann hatte ich dann genug. Das Glück hat mir einen Geschäftsfreund zugespielt, mit dem ich hier diesen Laden aufgemacht habe. Und was soll ich sagen? Er läuft super.“
„Woher wissen Sie, wie Mode-Mollenkopf finanziell dasteht?“
Jutta Tauscher sah Hans erstaunt an.
„Ihnen ist klar, dass Mühldorf im wahrsten Sinne des Wortes ein Dorf ist? In Mühldorf kennt beinahe jeder jeden, und die Gerüchteküche brodelt nicht nur gewaltig, sondern zieht auch gewaltige Kreise. Mollenkopf hat in der Vergangenheit einige Immobilien verkaufen müssen und damit sicher den maroden Laden gesponsert. Eines seiner Häuser hat einer meiner Cousins von einem Arzt gekauft, der seinerseits nur ganz kurz im Besitz des Hauses war. Warum das so war entzieht sich meiner Kenntnis, mein Cousin hat das aus den Kaufunterlagen entnommen. Aber ich könnte darauf wetten, dass sowohl Mollenkopf und auch dieser Arzt gut daran verdient haben. Als ich mitbekommen habe, dass der Vorbesitzer Mollenkopf war, habe ich meinen Cousin von dem Kauf abgeraten, da ich die sogenannten Großkopferten gut kenne. Die wirtschaften alle nur in die eigene Tasche, und zwar so viel wie möglich. Aber mein Cousin wollte ja nicht auf mich hören, er wollte das Haus unbedingt.“
Nach diesem Redeschwall musste sie einen Schluck Kaffee trinken, dann erzählte sie weiter.
„Mollenkopfs letzte beiden Autos waren geleast, das weiß ich von einer Kundin, die in dem betreffenden Autohaus arbeitet. Ihren Namen erfahren Sie von mir aber nicht, das müssen Sie schon selber rauskriegen.“ Sie trank noch einen Schluck Kaffee. „Und beim Juwelier ist Mollenkopf schon lange nicht mehr gesehen worden, obwohl er früher für eine seiner diversen Freudinnen gerne mal das eine oder andere Schmuckstück erstanden hat. Das weiß ich übrigens aus sehr sicherer Quelle, denn die Angestellte des Juweliers ist meine Nachbarin. Ich gebe Ihnen noch mehr Informationen, jetzt bin ich eh schon dabei: Mollenkopfs Urlaube, die er sich früher nur in exclusiven Luxusschuppen gönnte, verbringt er heute im Allgäu oder im Harz. Und zwar in simplen Ferienwohnungen, so wie Sie und ich eben auch. Man munkelt sogar, dass er sein Boot am Chiemsee verkaufen musste, da er sich den Anlegeplatz nicht mehr leisten konnte. Aus sicherer Quelle, die ich Ihnen auch nicht nennen kann, habe ich ebenfalls erfahren, dass Mollenkopf Geld zur Seite schafft. Gehen Sie den Informationen nach, für Sie als Polizisten dürfte das doch kein Problem sein.“
„Woher wissen Sie das alles?“ fragte Hans erstaunt. Er wunderte sich, ob die Frau eigentlich auch mal Luft holte.
„Glauben Sie mir, die Welt ist klein und man erfährt doch oft mehr, als es einem manchmal lieb ist.“
Viktoria kam mit ihren Notizen nach dieser Fülle von Informationen kaum nach und musste über die erfrischende Art der Frau herzlich lachen. Auch sie hatte die Gepflogenheiten hier auf dem Land auch schon am eigenen Leib erfahren müssen, denn über sie und ihre Scheidung wusste tatsächlich halb Mühldorf Bescheid, ohne dass sie auch nur einer Person davon erzählt hatte.
Für Hans war es völlig normal, dass man Informationen und Neuigkeiten austauschte, man lebte auf dem Land nun mal nicht anonym. Er mochte es, wenn man sich kannte und übereinander sprach, auch wenn er auf die Geschichten und Gerüchte nichts gab.
„Was können Sie über das Eheleben der Mollenkopfs berichten? In den sieben Jahren haben Sie doch bestimmt einiges mitbekommen.“
„Sicher habe ich das. Es ist ein offenes Geheimnis, dass Mollenkopf früher immer eine Geliebte hatte und seine Frau nach Strich und Faden beschissen hat. Aber in den letzten Jahren hat er ein Verhältnis mit der Heidi, und zwar nur noch mit ihr. Die beiden glauben wirklich, dass es niemandem auffällt, wenn Mollenkopfs Wagen vor Heidis Haus steht. Sie gehen auch nur in Neuötting oder Altötting zum Essen, weil sie denken, dass sie dort niemand kennt. Ich hätte den alten Mollenkopf und seine Torte für intelligenter gehalten, ich habe sie sogar selbst dort beim Essen gesehen. Frau Mollenkopf ist eine ganz liebe, arme Frau, die von ihrem Mann nicht gut behandelt wird. Keiner kann verstehen, warum sie dieses Arschloch nicht schon längst verlassen hat. Wenn sie das wirklich machen würde, wäre dieses Rindvieh erledigt. Vielleicht hat sie einfach noch nicht verstanden, in welcher Machtposition sie sich befindet.“
„Wie meinen Sie das?“
Jetzt waren die beiden erstaunt, denn nach den Ausführungen von Leo blieb Frau Mollenkopf aus finanzieller Sicht nichts anderes übrig, als bei ihrem Mann zu bleiben.
„Die haben damals keine Gütertrennung vereinbart, das weiß doch jeder. Wenn Frau Mollenkopf jetzt geht, ist die Hälfte des restlichen Vermögens futsch. Und dann natürlich auch das, was der feine Herr zur Seite geschafft hat.“
Hans entschied, umgehend Leo zu informieren, der zusammen mit Werner die umliegenden Geschäfte aufsuchte und Befragungen vornahm. Viktoria blieb noch und hörte sich sehr gerne verschiedene Anekdoten aus dem Geschäftsleben von Mode-Mollenkopf an.
Leo war sehr überrascht, was er von Hans zu hören bekam und die beiden machten sich sofort auf den Weg, um Frau Mollenkopf erneut zu befragen. Hatte die Frau gelogen? Oder wusste sie nicht, wie es tatsächlich um alles stand?
Als Alexandra Mollenkopf Leo bemerkte, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Es war lange her, dass jemand so freundlich und höflich zu ihr war. Friedrich Fuchs und die Mitarbeiter seiner Spurensicherung waren gerade dabei aufzuräumen – ihre Arbeit hier war endlich erledigt. Petra Knabel und Käthe Hiendlmaier halfen beim Aufräumen. Frau Mollenkopf hatte einen Wischmopp in der Hand, was ihr nun in Leos Gegenwart sehr unangenehm war. Von Herrn Mollenkopf und Frau Schmidt war nichts zu sehen, sie waren bei Tisch.
„Würden Sie Ihre Arbeit für einen Moment unterbrechen? Das ist mein Kollege Hiebler. Wir beide haben noch einige Fragen, die keinen Aufschub erlauben.“
„Ich mache nur noch eben fertig.“
„Lassen Sie das bitte eine Ihrer Angestellten machen. Frau Knabel?“ rief Leo durch den Ladenraum die junge Mitarbeiterin, die umgehend zu ihm kam.
„Ich muss mich nochmals dringend mit Frau Mollenkopf unterhalten. Würden Sie hier bitte fertigwischen?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er Frau Mollenkopf den Wischmopp aus der Hand und übergab ihn der völlig überraschten Frau Knabel. Er hakte die überrumpelte Frau Mollenkopf unter und zog sie aus dem Geschäft.
„So delegiert man Angestellte, es ist ganz einfach.“
„Das hätte ich mich niemals getraut. Sie rennt jetzt bestimmt zu meinem Mann und petzt, die lässt sich das nicht so einfach gefallen.“
Leo lachte nur, ihm war das völlig egal, es gab jetzt Wichtigeres. Sie gingen in dasselbe Café, ihr Platz von heute Vormittag war frei. Nur wenige Tische waren belegt.
„Was gibt es so dringendes?“
Frau Mollenkopf sah ihn mit großen Augen an. Er beschloss, langsam vorzugehen, damit die Frau ihn auch verstand. Vor allem musste er ihre Reaktionen genau beobachten, um zu sehen, ob sie ihn nicht doch angelogen hatte.
„Sie haben mir erzählt, dass Sie keinen Zugang zu den Konten haben?“
Sie nickte und hatte keinen blassen Schimmer, auf was das hier hinauslief.
„Ist es richtig, dass Sie bei Ihrer Hochzeit keine Gütertrennung vereinbart haben?“
Wieder nickte sie nur und sah Leo an. Was sollte das?
„Wie kommen Sie darauf, dass Sie von Ihrem Mann finanziell abhängig sind und ohne ihn mittellos dastehen?“
„Weil er es mir in der Vergangenheit immer wieder gesagt hat, und zwar bei jeder Gelegenheit. Was wollen Sie eigentlich von mir, ich verstehe Sie nicht.“
„Sie besitzen mehrere Immobilien und sogar ein Boot am Chiemsee?“
„Ja, aber das gehört alles meinem Mann.“
„Hat er das alles während Ihrer Ehe gekauft?“
Wieder nickte sie.
„Haben Sie irgendwelche Papiere während Ihrer Ehe unterzeichnet, wodurch Sie auf Ansprüche verzichtet haben?“
Nervös fuhr sie sich durchs Haar. Leo war sich aufgrund ihrer Reaktionen sehr sicher, dass sie die Wahrheit gesagt hatte und wirklich davon überzeugt war, dass sie ohne ihren Mann nichts besaß.
„Ich weiß es nicht.“
„Andersrum gefragt: Waren Sie mit Ihrem Mann beim Notar und haben dort Verträge oder Vereinbarungen unterzeichnet?“
„Nein, niemals, das kann ich definitiv verneinen.“
„Dann sind Sie keineswegs von Ihrem Mann finanziell abhängig. Ganz im Gegenteil, Ihnen gehört von allem die Hälfte. Sie müssen sich umgehend selbst über Ihre persönliche finanzielle Lage informieren, denn wir haben erfahren, dass Ihr Mann in letzter Zeit Immobilien veräußert hat und sogar das Boot verkauft hat.“
„Aber….Was bedeutet das?“
„Um es auf den Punkt zu bringen: Ihr Mann schafft Geld zur Seite!“
Das hatte gesessen, Alexandra Mollenkopf schrak zusammen. Sie brauchte einige Minuten, um wieder zu sich zu kommen.
„Das kann doch alles nicht stimmen. Mein Mann hat meinen Schmuck verkauft, um die Immobilien und das Boot behalten zu können. Wir hatten einen kurzfristigen finanziellen Engpass, der durch den Verkauf des Schmuckes aufgefangen werden konnte. Viele dieser Stücke waren Erbstücke meiner Familie und der Verkauf hatte mir sehr zugesetzt. Aber mit dem Erlös des Schmuckes war mein Mann nicht gezwungen, die Immobilien anzugreifen. Ich wollte meinen Teil dazu beitragen und war sehr froh darüber, als mich mein Mann um meine Hilfe und Unterstützung bat. Mein Mann würde doch niemals hinter meinem Rücken Geld zur Seite schaffen, nicht nachdem ich ihm meinen Schmuck überlassen habe. Das war doch alles, was ich hatte.“
„Sie wissen, was sich in dem Safe befand?“
Sie schüttelte den Kopf und sah ihn an.
„Ich habe Ihnen doch bereits gesagt, dass ich niemals Zugang zu diesem Safe hatte.“
„Ich sage Ihnen, was sich angeblich in diesem Safe befunden hatte: 142.000 Euro Bargeld, gesammelte Einnahmen der letzten Tage. Goldmünzen im Wert von zwanzigtausend Euro und Ihr persönlicher Schmuck.“
„Wie bitte? Ich habe doch die Einnahmen der letzten Tage jeden einzelnen Tag selbst zur Bank gebracht, wie immer. Und die Goldmünzen wurden doch zusammen mit meinem Schmuck verkauft, das ist doch bestimmt schon ein halbes Jahr her. Ich besitze keinen wertvollen Schmuck mehr! Sehen Sie selbst. Die Ringe und die Kette sind Modeschmuck und keine hundert Euro wert. Wenn der Schmuck und die Goldmünzen noch hier waren, hätte mein Mann mich ja nach Strich und Faden belogen und betrogen. Nein, so sehr kann er mich doch nicht hassen.“
Leo tat diese Frau sehr leid, für sie brach in diesem Moment nicht nur eine Welt zusammen, sondern sie begriff, wie dumm und naiv es war, ihrem Mann jede Lüge zu glauben.
„Sie wissen, dass er mit Frau Schmidt ein Verhältnis hat?“
Sie nickte kaum merklich.
„Natürlich weiß ich es, und zwar schon seit Jahren. Aber unsere Ehe ist zu Ende und wenn ich ehrlich bin, bin ich froh, wenn ich Herbert nach Geschäftsschluss nicht auch noch ertragen muss. Aber das mit den beiden ist mir auch völlig egal, sie sollen doch machen, was sie wollen. Bitte helfen Sie mir! Wo soll ich anfangen und an welcher Stelle erfahre ich, was mein Mann verkauft hat und was nicht? Ich kann ihn ja schlecht selber fragen.“
„Um Gottes Willen, tun Sie das auf keinen Fall, damit würden Sie ihn nur aufschrecken. Ich spreche jetzt nicht als Polizist zu Ihnen, sondern als Privatperson: Bringen Sie so unauffällig wie möglich in Erfahrung, was hinter Ihrem Rücken alles läuft und nehmen Sie sich einen Anwalt. Sonst stehen Sie irgendwann wirklich ohne einen Cent da. Vielleicht ist es noch nicht zu spät.“
„Das schaffe ich nicht, das schaffe ich niemals. Mein Mann wird sofort merken, dass ich hinter seinem Rücken agiere.“
Sie starrte auf ihre Kaffeetasse und war völlig durcheinander.
„Ich verstehe, dass das jetzt alles sehr viel für Sie ist, aber Sie müssen jetzt stark sein. Reißen Sie sich zusammen, sonst ist alles umsonst gewesen, was Sie die ganzen Jahre erdulden mussten. Was wird aus Ihnen, wenn Sie mittellos dastehen? Denken Sie an Ihre Eltern, sie würden bestimmt nicht wollen, dass ihre Tochter Sozialhilfe bezieht.“
„Nein, das würden sie wirklich nicht, da haben Sie vollkommen Recht. Ich bin froh, dass sie das alles nicht mehr miterleben müssen. Bis zu ihrem Tod habe ich ihnen vorgelogen, wie glücklich ich bin und dass sie sich keine Sorgen machen müssen, obwohl sie das ganz bestimmt bis zum Schluss getan haben. Aber ich weiß nicht, ob ich die Kraft habe, das alles durchzustehen. Ich habe auch Angst davor, herauszufinden, was wirklich hinter meinem Rücken gelaufen ist. Aber vor allem habe ich Angst vor Herbert, er kann sehr ungehalten werden.“
„Ich kann Ihre Angst nachvollziehen. Sie müssen das nicht alleine durchstehen. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen helfen. Überlegen Sie in aller Ruhe, ich möchte Sie zu nichts drängen.“
„Ich bin auch für Sie da, wenn Sie Hilfe brauchen,“ fügte Hans hinzu. „Überlegen Sie es sich, Sie sind nicht allein.“
„Warum sind Sie beide so nett zu mir?“
„Weil wir solche Männer wie Ihren Mann nicht leiden können, deshalb. Was glauben Sie, was wir schon alles in unserem Beruf miterleben mussten. Wir kennen Typen wie Ihren Mann. Und dagegen sind wir allergisch.“ Hans ging nach draußen, um Luft zu schnappen. Er hasste Männer, die Frauen unterdrückten und mies behandelten. Und dass bei den Mollenkopfs eine ganz linke Tour ablief, lag auf der Hand. Dann bemerkte er Mollenkopf, wie er zusammen mit der Sekretärin das Geschäft betrat und nach wenigen Minuten wieder herauskam. Er lief direkt auf das Café zu. Rasch ging er wieder ins Café.
Leo bezahlte gerade und hakte Alexandra Mollenkopf unter.
„Mollenkopf ist zurück. Ich glaube, er kommt direkt hierher.“
Frau Mollenkopf wurde panisch, aber Leo beruhigte sie umgehend.
„Bleibt ihr beide noch hier. Ich fange ihn ab und nehme ihn mit aufs Revier, mir fällt schon noch ein Grund dafür ein.“
Alexandra Mollenkopf und Leo beobachteten, wie sich Hans und Mollenkopf heftig stritten. Dann gingen sie zu Hans‘ Wagen, stiegen ein und fuhren davon.
„Das war knapp,“ lachte Leo. Auch, um die Situation zu entschärfen.
„Das hier ist doch Irrsinn und muss ein Ende haben. Ich kann nicht mein ganzes Leben lang vor meinem Mann davonlaufen. Ich nehme Ihre Hilfe an, Herr Schwartz. Ich werde gegen meinen Mann ankämpfen.“
„Sind Sie sicher?“
„Ja, das bin ich. Ich möchte mir das unverschämte Verhalten und diese unglaublichen Lügen meines Mannes nicht mehr gefallen lassen. Sie haben mich ordentlich aufgerüttelt. Ich möchte jetzt für mich und meine Rechte kämpfen.“
Sie setzten sich wieder, um zu besprechen, was zu tun war, denn noch hatte Leo keinen Plan. Sein Handy klingelte, Viktoria war anscheinend schon auf der Suche nach ihm. Jetzt hatte er keine Zeit für sie und schaltete das Handy einfach aus. Später wird er ihr alles erklären und so, wie er sie kannte, hatte sie bestimmt Verständnis.
„Was halten Sie von folgendem Vorschlag: Wir gehen gemeinsam zur Bank und Sie besorgen sich dort die ersten Informationen. Danach fahre ich Sie nach Hause und Sie packen das Nötigste für ein paar Tage. Dann bringe ich Sie an einen Ort, wo Sie vor Ihrem Mann sicher sind. Dort schalten Sie einen Anwalt ein, der alle juristischen Schritte einleitet.“
Alexandra Mollenkopf musste sich konzentrieren, um alles zu verstehen und sah dabei aus wie ein erschrecktes Reh.
„Keine Angst, ich werde Sie begleiten.“
„Aber Sie können nicht immer auf mich aufpassen. Sie haben Arbeit und ein Privatleben, das will und kann ich Ihnen nicht zumuten. Außerdem wäre mir das Ganze auch peinlich, weil ich Sie ja eigentlich überhaupt nicht kenne.“
„Sie haben Recht,“ überlegte Leo, der wirklich nicht rund um die Uhr zur Verfügung stehen konnte. „Was halten Sie davon, wenn eine Freundin an Ihrer Seite wäre?“
„Ich habe hier keine Freundin, leider. Mein Mann hat schon vor Jahren dafür gesorgt, dass ich keine sozialen Kontakte pflegen konnte.“
Das war wirklich ein Problem und Leo überlegte lange, bis er endlich eine Idee hatte.
„Und wenn ich eine Freundin hätte, die Sie unterstützt und auf Sie aufpasst? Ich kenne eine sehr zuverlässige, vertrauensvolle und äußerst redegewandte Person, die sich so leicht vor nichts und niemandem fürchtet.“
„Das würden Sie für mich tun?“
„Klar. Ich hätte gleich auf die Idee kommen sollen.“
Alexandra Mollenkopf sah ihn ungläubig an, während Leo sein Handy wieder einschaltete. Acht entgangene Anrufe von Viktoria, das gab bestimmt mächtig Ärger. Aber das würde er später klären.
Er wählte die Nummer seiner besten Freundin Christine Künstle, Pathologin in Ulm.
„Leo? Dass du dich auch mal meldest, das grenzt ja schon an ein Wunder. Was ist los?“ Die 62-jährige spürte sofort, dass Leos Anruf wichtig war.
Leo schilderte ihr die Situation, wobei er auf die Reaktion von Frau Mollenkopf keine Rücksicht nahm. Ihr war es sehr peinlich, dass ein Polizist sehr persönliche und auch intime Informationen an eine wildfremde Frau weitergab.
Christine hörte sich alles an und unterbrach ihn nicht. Eine Eigenschaft, die Leo sehr an ihr schätzte.
„Und deshalb brauche ich deine Hilfe,“ beendete er seine Schilderung.
„Verstehe. Gut, ich bin quasi unterwegs. Bring die Frau am besten zu Gerda, dort treffen wir uns.“ Sie hatte aufgelegt, denn für sie war klar: Leo brauchte ihre Hilfe, also war sie selbstverständlich zur Stelle.
„Meine Freundin ist unterwegs und wird in wenigen Stunden an Ihrer Seite sein. Sie sehen, Sie sind nicht allein.“
„Ich kann das alles gar nicht glauben. Und wo soll ich hin?“
„Zu Tante Gerda, einer ganz lieben, warmherzigen Frau, bei der Sie sich bestimmt sehr wohl fühlen.“
Leo telefonierte mit Gerda, die natürlich sofort ihre Zustimmung gab. Sie freute sich nicht nur, Leo helfen zu können, sondern vor allem auf Christine, die sie ebenfalls in ihr Herz geschlossen hatte.
Alexandra Mollenkopf war das Ganze sehr unangenehm, aber es war wie ein Glücksfall für sie, dass Leo Schwartz die Organisation übernahm, denn sie war dafür viel zu ungeschickt und zögerlich. Sie kannte weder den Polizisten näher, noch diese Christine Künstle und Gerda. Jetzt musste sie sich in völlige fremde Hände begeben und hatte unsägliche Angst davor. Aber sie vertraute Herrn Schwartz, den ihr wohl der Himmel geschickt hatte.
Die beiden gingen direkt zur Bank. Frau Mollenkopf war sehr ruhig, ihr gingen die wildesten Gedanken durch den Kopf. Vielleicht übertrieb der Polizist ja doch und Herbert hatte nichts hinter ihrem Rücken gemacht. Aber was war mit dem Schmuck? Warum lag der Schmuck immer noch im Safe, obwohl ihr Mann glaubhaft versichert hatte, ihn verkaufen zu müssen, um die Firma zu retten? Das hätte er nicht tun dürfen! Sie hing sehr an dem Schmuck, den sie zum größten Teil von ihren Eltern geerbt hatte. Einige Stücke davon waren seit Generationen in Familienbesitz. Sie erinnerte sich schmerzlich an den Brief ihrer Mutter, der ihr zusammen mit dem Schmuck nach deren Tod übergeben wurde. Ihre Mutter hatte nochmals den Wert der Stücke verdeutlicht, der später einmal Teil ihrer Altersabsicherung sein sollte. Wenn der Schmuck tatsächlich immer noch im Safe lag, hatte Herbert sie belogen und betrogen. Das konnte sie sich nicht gefallen lassen.
„Was soll ich sagen? Ich kann doch nicht fragen, ob ich eine Kontovollmacht besitze, die lachen mich doch aus.“
„Versuchen Sie einfach, Geld von Ihrem Konto abzuheben, dann sehen wir, was passiert. Nur Mut, ich bin bei Ihnen, egal was passiert.“
„Guten Tag, Frau Mollenkopf,“ begrüßte sie der Schalterbeamte, vor dem ein riesiges Schild mit dem Namen SCHNEIDER stand. „Sie kommen heute außergewöhnlich früh. Ich habe gehört, bei Ihnen wurde eingebrochen?“
„Guten Tag, Herr Schneider. Ja, eine schreckliche Geschichte, wir sind alle noch fix und fertig. Ich würde gerne von unserem Privatkonto Geld abheben.“
Sie war nervös, ihr wurde schlecht und sie musste sich an Leos Arm festhalten. Sie drohte, augenblicklich umzukippen. Leo legte seine Hand beruhigend auf ihre, was sie nicht zu merken schien. Sie war ganz auf Schneiders Reaktion fokussiert. Was würde jetzt passieren? Nach den Informationen ihres Mannes hatte sie keinen Zugang zu den Konten. Würde der nette Herr Schneider sie jetzt vor aller Augen auslachen und sie unverrichteter Dinge wieder wegschicken?
Zu Ihrer Überraschung war die Reaktion aber eine ganz andere…
Christian R. –
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