Mutter der Braut
Mein damaliger Freund und ich durften auf vielen Hochzeiten tanzen. Der gesamte Freundeskreis beschloss zeitnah sich zu vermählen, und ich war ein großer Fan von Hochzeiten. Zugegebenermaßen sagen mir heute Beerdigungen zuweilen mehr zu, da sie sich ehrlicher anfühlen und auch beständiger zu sein scheinen. Wie dem auch sei, auf den vielen Hochzeiten konnten wir die verschiedensten Eindrücke gewinnen. Welche Band uns zusagen würde, wie unsere Hochzeitstorte schmecken sollte, welche Lokalität Gemütlichkeit versprach, welcher Blumenschmuck uns zusagte und welcher Chor zu Tränen rührt. Und so machte ich mir bereits Notizen über unsere Erkenntnisse und sammelte diese in einem Ordner. Als dann endlich die Zeit reif war und ich meinen Antrag bekam, den ich selbstverständlich annahm, lief ich sogleich zum Aktenschrank, holte den Ordner und präsentierte diesen meinem Verlobten. Völlig entgeistert schaute er auf den Ordner, schlug ihn auf und fand ein Inhaltsverzeichnis mit dem Titel „unsere Hochzeit – Punkt 1 bis 28“. Als ich seinen entsetzten Blick wahrnahm, machte sich die Vermutung breit, dass er von meinen Notizen etwas überfordert war. Insgeheim schimpfte ich mit mir, nicht noch mindestens eine Woche damit gewartet zu haben, es hatte jetzt diesen leichten Beigeschmack von „bedürftig“. Er schaute auf den Ordner, schaute zu mir, schaute auf den Ordner und brach in schallendes Gelächter aus. Puh, da hatte ich nochmal Glück gehabt. Und so begannen die Vorbereitungen.
Unter Punkt 17 war das Thema „Brautmutter“ aufgelistet. Meine Mutter gehört zu den eher vollschlanken Damen dieser Gesellschaft, eine wahrliche Wuchtbrumme könnte man sagen. Sie trägt gerne weite, leichte Hosen und dazu unpassend ein weites Hemd. Dieser Kleidungsstil passte jetzt aber so gar nicht in meine Märchenhochzeit. Meine Mutter wollte jedes Detail der Hochzeit wissen, sie freute sich sehr mit mir und war ganz aufgeregt, was meist die Begleiterscheinung eines sehr sehr roten Gesichts mit sich brachte. Sie mischte sich in keinster Weise in die Vorkehrungen ein und war von den Plänen ganz begeistert, was sie meist mit einem „Micheeela, des is ja wie bei den oberen Zehntausend“ kundtat. Meine Mutter war stets darauf bedacht, dass man mich mit vollem Namen ansprechen sollte. Heute ist sie eine der wenigen die das tatsächlich befolgt. Außerdem heiße ich ja Michaela und unter Freunden werde ich stets „Micha“ genannt. Meine Mutter nennt mich seit Anbeginn der Zeit jedoch „Micheeela“. Mein Stiefvater beispielsweise hieß Wilhelm, von allen „Willi“ genannt, meine Mutter hingegen sprach ihn immer mit „Willeee“ an. Sie scheint eine Vorliebe für langgezogene Vokale zu haben, ein unverkennbares Markenzeichen. Als sie mir erzählte, sie wolle sich für die Hochzeit einen Hosenanzug anschaffen, erklärte ich ihr, dass mein größter Wunsch darin lag, sie würde zur Hochzeit ein Kostüm tragen, sie sei ja schließlich die Brautmutter und nicht der Brautvater. Anfangs war sie nicht überzeugt, als ich ihr jedoch weiter schilderte, dass es überaus toll wäre, wenn sie dazu noch einen großen Hut tragen würde, meinte sie begeistert „mei, dann bin ich ja wie die Queen Mum“ und schon war das Feuer entfacht. Wir besorgten ihr einen riesigen schwarzen Hut, ein rotes Kostüm, passend schwarze Riemchensandalen und roten Korallenschmuck. Als alle Utensilien zusammen waren, kam meine Mutter zu uns ins Haus und wir begannen mit der Anprobe. In unserem Gästezimmer befand sich ein großer Spiegel und meine Mutter sah wirklich stilvoll aus. Sie drehte sich immer wieder, begutachtete sich und sagte „mei, wie bei den oberen Zehntausend“, als plötzlich die Haustür aufgesperrt wurde. Meine Mutter erschrak. „Micheeela, wer is des?“
„Wer soll das schon sein. Mein Verlobter,“ erwiderte ich, „wie du weißt, wohnen wir seit sechs Jahren zusammen – Überraschung!“
Daraufhin war das blanke Entsetzen im Gesicht meiner Mutter zu sehen. „Aber Micheeela, schnell mach die Tür zu. Der darf mich vor der Hochzeit nicht sehen.“
Irritiert erwiderte ich: „Äh, nur um Missverständnisse auszuräumen: Ich bin die Braut!“
Kopfschüttelnd stand ich somit vor der Tür zum Gästezimmer, die ich wie ein Bodyguard zu bewachen hatte, damit sich Mutter in Ruhe und ungesehen umziehen konnte. Als mein Verlobter mich vor der Tür stehen sah und verdutzt anschaute, erwiderte ich nur noch mit einem „frag nicht“.
Am großen Tag, mein Verlobter nächtigte bei seinen Eltern, kam meine Mutter früh morgens zu mir und ließ sich als Erste von der Visagistin ein neues makelloses Gesicht verpassen, sich in ihr Kostüm helfen und strahlte von innen heraus. Nachdem die Brautmutter zurecht gemacht war, kam dann endlich auch meine Wenigkeit an die Reihe. Da meine Mutter sehr nahe am Wasser gebaut ist, machte ihr die Visagistin klar, sie dürfe auf keinen Fall viele Tränen vergießen, da ihr sonst das Gesicht wegläuft. „Nein, nein“, beteuerte meine Mutter, „gut, dass sie mir des noch sagen. Aber dann wein ich halt nicht, des is ja auch fern jeder Olive“. (Meine Mutter hat ein durchaus interessantes Talent, Sprichwörter unbewusst zu verdrehen oder umzugestalten.) Ich war der Kosmetikerin sehr dankbar für diese Worte, denn somit war nicht mit ganz so viel Drama an diesem durchaus wunderschönen Tag zu rechnen.
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